Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Schaltzentrale des Systems in der Stadt erinnerte. Große Computer mit flimmernden Bildschirmen, Stühle, Schreibtische … Und an einem davon saß Linus mit einem mehrere Zentimeter langen Bart. Linus’ Hand schoss in die Höhe.
»Lucas«, sagte er, ohne aufzusehen. »Gib mir noch eine Minute, okay? Ich bin gerade mitten in einer Sache.«
Lucas starrte mit offenem Mund auf ihn hinunter. »Linus?«, keuchte er.
»Nur eine Minute«, warf Linus in leicht gereiztem Ton ein.
Lucas runzelte die Stirn und zählte stumm bis drei, eine Methode, die er vor vielen Jahren erlernt hatte und die er regelmäßig, oft mehrmals am Tag, anwandte, um Reaktionen zu unterdrücken, die ihm ansonsten Probleme bereiten würden. Tausende Ungerechtigkeiten; Tausende vom Bruder auf arrogante Weise gefällte Pauschalurteile; Tausende Beleidigungen, die gegen seinen Vater und seinen Bruder gerichtet waren; Hunderte Treffen mit Evie, bei denen das, was er tun wollte, und das, was er tun konnte, meilenweit auseinanderklaffte. Bis drei zählen war für ihn eine Art Mantra, eine kleine Meditationsübung, die seine Nüchternheit, seine Gleichgültigkeit, seine Distanziertheit und seinen Panzer von ihm abfallen ließ.
Aber im Moment brachte es gar nichts, bis drei zu zählen. »Mitten in einer Sache?« Lucas blickte zweifelnd, drehte sich um und ließ sich in die Tiefe hinabgleiten. Die letzten Meter überwand er mit einem Sprung und landete dort, wo Linus über einen Bildschirm gebeugt saß. »Mitten in einer Sache?« Innerlich vor Wut schäumend, aber äußerlich ganz cool wie immer, trat er neben Linus. »Ich dachte, dir sei etwas passiert«, sagte er leise. »Ich habe nach dir gerufen, aber du hast nicht geantwortet.«
»Jetzt nicht, bitte«, sagte Linus noch einmal und hob die Hand, wie ein Vater es bei seinem Kind tun würde. »Gib mir noch zwanzig Sekunden.«
Linus wandte den Blick nicht vom Computer. Verblüfft kam Lucas Linus’ Bitte nach. Während er wartete, sah er sich noch einmal in dem Raum um, und allmählich trat an die Stelle der Wut Fassungslosigkeit, als er die Technik und die Größe von Linus’ neuer Wirkungsstätte bestaunte.
»Fertig«, sagte Linus plötzlich und stand auf. »Also, Lucas, was kann ich für dich tun?«
Er lächelte nervös, als wäre Lucas nur mal eben auf eine Tasse Tee vorbeigekommen und als hätten sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen.
Lucas war verwirrt, und fast hätte er vergessen, warum er überhaupt hier war. Er kannte Linus zwar erst seit Kurzem, aber zuvor hatten sie jahrelang heimlich miteinander kommuniziert, und davor hatte Lucas’ Vater mit Linus in Kontakt gestanden. Trotzdem hatte Lucas jetzt das Gefühl, als stünde er einem völlig Fremden gegenüber.
»Ich …« Es hatte keinen Sinn. Sein Blick wanderte wieder umher. »Was ist das für ein Ort?«, fragte er. »Wie bist du … ich meine…was ist das hier?«
»Toll, nicht?« Linus grinste und setzte sich wieder. »Ich nenne es mein Hauptquartier.«
»Aber außer dir ist hier niemand.«
»Stimmt.« Linus’ Augen leuchteten. »Ich bin der Boss, und es ist niemand da, der mir in die Quere kommen könnte. Perfekt, findest du nicht?« Lucas wusste genau, was Linus meinte – er träumte selbst manchmal davon, ganz allein zu sein und sich nicht mit anderen Leuten, mit deren Problemen, dem Misstrauen und den Versuchen, ihn auszubooten, herumschlagen zu müssen. Aber er sagte nichts. Linus schien Lucas’ Schweigen nicht zu bemerken, oder es kümmerte ihn nicht. »Also, dann verrat mir jetzt doch, warum du hier bist, denn ich habe nicht viel Zeit. Ich hab viel zu tun. Okay?« Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl vor dem Computer.
Lucas nickte ernst. »Es sind Fremde in der Stadt«, sagte er und ging in die Hocke, damit er mit Linus auf gleicher Höhe war. »Mörder. Sie machen mit dem Bruder gemeinsame Sache, unterstützen ihn, bieten ihm Nahrungsmittel und Schutz, und wer weiß, was sonst noch. Ein paar Jugendliche sind in dem alten Krankenhaus zufällig auf sie gestoßen, und sie … sie haben alle umgebracht. Bis auf ein Mädchen. Sie ist jetzt bei Martha in Base Camp. Und …«
»Und?«
Lucas holte tief Luft. Er hatte eigentlich nicht näher auf die andere Sache eingehen wollen, von der Clara ihm erzählt hatte; er hatte sich gesagt, dass sie nur flohen, um Clara zu schützen. Aber es hatte noch einen anderen Grund gegeben, weshalb sie die Stadt sofort verlassen mussten. »Als die jungen Leute die Spitzel entdeckten,
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