Das letzte Zeichen - Die Verschwundenen: Band 2 (German Edition)
Höhlen.«
»Verstehe«, sagte Lucas. Linus stellte den Motor ab und sie waren in Dunkelheit gehüllt. »Du hast das alles geplant, oder?«
Linus holte eine Taschenlampe hervor, machte sie an und grinste. »So ungefähr«, meinte er augenzwinkernd. »Bis zur Siedlung braucht man von hier aus zu Fuß etwa eine Stunde«, sagte er und öffnete die Wagentür. »Bist du okay?«
»Mir geht es ausgezeichnet«, betonte Lucas, sprang aus dem Wagen und folgte Linus hinaus in die Dunkelheit.
Mr Weizman starrte auf den Computerbildschirm, in das wütende Gesicht seines Chefs.
»Nur damit ich Sie richtig verstehe. Sie hatten ihn? Er war im Lager und konnte fliehen?«
Mr Weizman nickte. Er hatte schon ein paarmal erklärt, dass es keinerlei Hinweise gegeben habe, dass der Gefangene aus der Stadt kam und dass noch jemand bei ihm war. Er sei außerhalb der Begrenzungsmauer mit einer Kopfwunde aufgefunden und vorsichtshalber ins Lager gebracht worden. Nachdem er als »untauglich« eingestuft worden war, hatte Weizman angeordnet, die Behandlung abzubrechen. Die Flucht, der Partner, der sich Zugang zum Zentralrechner verschafft hatte … nichts hatte darauf hingedeutet.
Weizman war die Ereignisse mehrmals persönlich durchgegangen und hatte zwei Leute gefeuert. Aber das half ihm jetzt auch nichts.
Der Mann vor dem Computer stieß einen tiefen Seufzer aus und schüttelte müde den Kopf.
»Sie erschweren mir die Sache ganz erheblich«, sagte er. »Wie Sie wissen, traue ich den Leuten durchaus etwas zu, aber sie kriegen es nie hin. Nie.« Er seufzte wieder. »Zum Glück bin ich Ihnen und denen ein paar Schritte voraus. Zum Glück weiß ich, wo sie hinwollen, und bin darauf vorbereitet. Aber lassen Sie sich das eine Lehre sein. Verstanden?«
»Ja, Sir«, sagte Mr Weizman.
Sein Boss stutzte, als wäre er überrascht, ihn noch auf seinem Schirm zu sehen. »Ich bin fertig mit Ihnen «, erklärte er schroff, und der Bildschirm wurde dunkel.
Mr. Weizman drehte sich langsam um und verließ das Zimmer. Er brauchte jetzt einen Drink.
30
Der Bruder schritt gemächlich auf das Gemeinschaftshaus zu, wo neben Versammlungen auch die wöchentlichen Predigten stattfanden, von denen die Bürger der Stadt immer ganz begeistert waren. Als er an den Mitgliedern seiner Gemeinde vorbeiging, genoss er die bewundernden Blicke und das Raunen, das durch die Menge ging. Das war seine Gemeinde – schon immer. Er hatte ein Jahr in der Wildnis verbracht; man hatte ihm die Flügel gestutzt, und er hatte so tun müssen, als hätte er seine Fehler eingesehen und als wäre er Lucas dankbar.
Dankbar? Er verachtete Lucas. Noch nie im Leben hatte er jemanden so gehasst. Lucas war ein Verräter, er manipulierte, und er war verschlossen, ein Verräter, der … Der Bruder schüttelte voller Abscheu den Kopf. Er konnte nicht einmal beschreiben, was aus Lucas geworden war. Lucas, der sich nach außen so stark und kompromisslos gegeben hatte, war die ganze Zeit ein erbärmlicher, wehleidiger Ideologe gewesen. Genau wie sein Vater.
Aber jetzt war er fort. Und falls er jemals versuchen sollte, zurückzukommen, würde es ihm noch leidtun. Er würde in der Stadt keinen Tag überleben, wenn der Bruder mit ihm fertig war.
Vor dem Versammlungshaus blieb der Bruder kurz stehen und sah voller Freude an dem Gebäude hinauf. Er war erleichtert, dass er wieder da war. Die Versammlungen waren seine Lieblingsveranstaltungen in der Stadt gewesen, die er mitgestaltet hatte. Die wöchentliche Versammlung hatte ihm eine Plattform geboten, eine Möglichkeit, alle daran zu erinnern, wie glücklich sie sich schätzen konnten und wie wichtig es war, sie vor dem Bösen zu schützen, das sich nur allzu leicht ausbreitete, wenn es Gelegenheit dazu bekam. Alle hatten stets den ihrem Rang entsprechenden Platz eingenommen – ein öffentliches Forum, wenn es darum ging, die verschiedenen Ranggruppen zu beobachten. Der Bruder hatte das geliebt: die verächtlichen Blicke der As, wenn sie die jämmerliche Gruppe der Ds betrachteten; wie die Bs den Kopf hoch trugen, während sie neidische Blicke in Richtung der As warfen; und dann waren da die Cs, die sich an ihre Ehrbarkeit klammerten und so große Angst hatten, zu Ds herabgestuft zu werden, dass sie diese kaum ansahen, um ihren Ruf nicht zu beflecken. Teile und herrsche – lautete so nicht eine Redensart? Und es stimmte. Schlicht und einfach.
Die Menschen wollten einen vorgegebenen Platz im Leben einnehmen und ihn sich nicht selbst
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