Das Leuchten der Insel
Jahr war ich in North Carolina an der Uni, um meinen Master zu machen. Aber der Nebel um die Smoky Mountains erinnerte mich an Puget Sound, und so trampte ich schließlich wieder nach Hause.«
»In welchem Fach wollten Sie denn Ihren Abschluss machen?«, fragte Katie.
»Jura. Das hat mir ebenfalls nicht gefallen.«
»Jura ist langweilig«, bestätigte Katie.
»Was magst du denn?«, fragte Jim.
»Schreiben.«
»Ah, eine Autorin! Auf Sounder wirst du in guter Gesellschaft sein. Wir haben einige Autoren. Was schreibst du denn?«
Katie zuckte mit den Schultern: »Erzählungen. Gedichte. Ein Tagebuch.«
»Wer ist dein Lieblingsautor?«
Ohne zu zögern antwortete Katie: »Harper Lee.«
»Gut. Ich hatte schon befürchtet, dass du entweder jemanden nennen würdest, von dem ich noch nie gehört habe, oder den ewigen Teenagerfavoriten J.D. Salinger.«
»Ich habe den Fänger im Roggen gehasst«, entgegnete Katie und gestattete sich ein kleines Lächeln.
Jim grinste zurück: »Ich auch. Das am meisten überschätzte Buch in der Geschichte des Englischunterrichts.«
»Und was machen Sie, wenn Sie kein Anwalt sind?«, fragte Katie.
»Ich unterrichte«, sagte Jim. »Du wirst mich morgen früh um acht in der Schule sehen. Komm nicht zu spät. Ich lasse nachsitzen!«
»Echt?«, rief Katie. » Sie sind der Lehrer?«
Jim nickte: »Jurastudium abgebrochen, umhergestromert, dann an die University of Washington gegangen, um mein Lehrerexamen zu machen. Habe in San Diego unterrichtet und bin dann nach Hause gekommen, um meiner Mom mit der Farm zu helfen. Aber im vergangenen Frühjahr erkrankte unser Lehrer auf Sounder und musste aufhören. Wir fanden niemanden, der die Lücke schließen konnte, und darum bin ich eingesprungen.«
»Sie unterrichten Ihre eigenen Kinder?«, fragte Quinn.
»Ja. Nicht ideal, ich weiß. Aber es ist nur für ein Jahr. Im nächsten Jahr verlassen sie die Insel, um in Friday Harbor die High School zu besuchen. Unsere Schule geht nur bis zum Ende der achten Klasse.«
»Ich würde mich umbringen, wenn meine Mom meine Lehrerin wäre«, äußerte Katie.
»Wie schön für uns alle, dass sie das nicht ist«, erwiderte Jim trocken.
Unwillkürlich musste Susannah lachen: »Keine Sorge Katie«, versicherte sie, »ich habe nicht den Wunsch zu unterrichten.«
»Und was machen Sie?«, erkundigte sich Jim mit seiner besten Cocktailparty-Stimme und wandte seinen Kopf Susannah zu, um ihn dann jedoch wieder zurückzudrehen und die Wellen zu beobachten.
»Ich fahre. Und ich arbeitete ehrenamtlich und organisiere. Vor den Kindern war ich ›Managerin für visuelle Verkaufsförderung‹, eine hochtrabende Umschreibung für Schaufensterdekorateurin.«
Sie hatte ihre Tätigkeit geliebt. In jenen frühen Jahren ihrer Ehe, als Matt an seiner Dissertation arbeitete, hatten sie in einem winzigen Apartment in Chicago gewohnt, und sie war für Marshall Field’s als Designassistentin tätig gewesen. Ihr hatte damals diese Zielstrebigkeit gefallen – früh ins Geschäft zu gehen, wenn es noch still und ruhig war, die Kleidungsstücke und die Schuhe zusammenzustellen, Hintergründe zu bemalen, Säulen zu bauen. Sie und Matt waren ebenfalls zielstrebig gewesen, als sie mit ihrem mageren Gehalt auskommen und deshalb darauf verzichten mussten, auswärts zu essen, ins Kino zu gehen und sich neue Bücher zu kaufen, wobei Matts Promotion ihr gemeinsames Ziel und ihr gemeinsamer Erfolg gewesen war. Abends, wenn Matt hinter seinen Büchern saß, malte sie und experimentierte mit kühnen Farben und großen Leinwänden. Sie malte eine Serie von Landschaften, die sie während ihrer Hochzeitsreise im Westen gesehen hatten – hellorangefarbene Canyons, strahlend blaue Flüsse, rote Monde und schwarze, mit leuchtend goldenen Sternen durchsetzte Himmel. Die Bilder waren von all dem Überschwang erfüllt gewesen, den sie damals empfunden hatte angesichts ihres Glücks, Matt zu lieben, ihrerseits von Matt geliebt zu werden und etwas Kreatives zu tun. Sie fragte sich, wohin diese Bilder verschwunden waren. Auf den Dachboden?
»Schaufensterdekorateurin«, sagte Jim. »Tatsächlich?«
»Ich wollte Künstlerin werden«, erklärte Susannah. »Aber das ist mit einem Hungerleben verbunden, wie mein Vater gern betonte. Darum suchte ich mir etwas, das mir zumindest die Möglichkeit gab, mit Farben und Gestaltung und gelegentlich mit einem Dressman zu arbeiten.«
»O nein«, stöhnte Katie. »Ich fass es nicht!«
»Das war nur Spaß!«,
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