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Das Leuchten der Insel

Das Leuchten der Insel

Titel: Das Leuchten der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McCleary
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Oberfläche glatt war, aber alle Linien blieben. Sie war groß und schlank, hatte hohe Wangenknochen, warme braune Augen und krause, widerspenstige graue Haare, die keine besondere Frisur erkennen ließen. Ihr breites Lächeln enthüllte erstaunlich weiße Zähne – für eine Frau, die die siebzig bereits überschritten hatte. Sie trug ein kariertes Männerflanellhemd lose über einer in derbe flaschengrüne Gummistiefel gestopften Jeans.
    »Hey«, rief Betty und fing das Seil auf, das ihr Jim zuwarf, damit sie half, das Boot seitlich ans Dock zu ziehen. Ihre Stimme war tief und rau. »Sie haben’s geschafft.« Sie zog das Seil durch und über eine der Klampen am Anlegesteg und hielt dann die Seite des Boots fest, während Susannah von Bord ging.
    Susannah reichte Betty die Hand: »Es ist schön, dass ich nun ein Gesicht zu Ihrer Stimme habe. Danke für alles, was Sie im Vorfeld für uns getan haben.«
    »Das war weiter nichts«, wehrte Betty kopfschüttelnd ab. »Wir sind froh, Sie hierzuhaben, glauben Sie mir. Und wenn Sie es mir nicht glauben, werden meine Enkel, die da oben im Waschsalon sind, um die Post zu holen, Sie schon bald davon überzeugen.«
    Sie musterte Quinn und Katie, die auf den Anlegesteg geklettert waren und nun nebeneinander standen und sich umsahen. Susannah bemerkte, dass Quinn ein wenig dichter bei Katie stand als sonst und dass Katie ihn nicht wegstieß.
    Betty richtete sich auf, griff in ihre Tasche, zog eine Packung Zigaretten hervor, schüttelte eine Zigarette heraus und zündete sie mit einem Streichholz an. Nach einem tiefen Zug stieß sie mit einem zufriedenen Seufzer eine lange Rauchschwade aus.
    »Sie werden heute Abend mit uns essen, ja?«, fragte sie Susannah. »Ich dachte, dass Sie müde sind und nicht viel zu essen im Haus haben dürften, sofern Sie nicht in Friday Harbor eingekauft haben.«
    Susannah schlug sich mit der Hand an die Stirn: »O mein Gott! Ich habe noch nicht einmal daran gedacht , Lebensmittel mitzubringen. Wie dumm von mir! Ich werde morgen wieder nach Friday Harbor fahren müssen. Also ja, danke, wir würden sehr gern heute Abend mit Ihnen essen. Das ist sehr umsichtig von Ihnen.«
    »Gut«, sagte Betty.
    Susannah ging zum Boot zurück, um Jim beim Entladen zu helfen, und fühlte sich sowohl orientierungslos als auch seltsam daheim. Sie standen auf einem schwimmenden Metallponton, über dessen Rampe man auf einen langen Holzsteg klettern konnte, der über das Wasser hinweg in eine geschützte Bucht führte. Eine kleine Flotte aus Motorbooten, Dingis und Segelbooten, die an Bojen festgebunden waren, tanzte in der Bucht auf den Wellen. Viele der Boote waren in leuchtenden Farben lackiert worden – Gelb, Blutrot, Königsblau – und bildeten einen starken Kontrast zu dem schwarzblauen Wasser, dem gedämpften Grün und Gold der Bäume und Büsche und den bleichen weißen Treibholzstücken, die entlang der Küste angespült worden waren. Am Ende des Stegs parkte auf der Schotterstraße ein Pick-up in ausgeblichenem Rot. Etwas weiter die Straße hinauf stand ein großes Blockhaus mit einem grünen Zinndach, einer breiten Veranda und zwei großen Fenstern, die auf die Buch hinausgingen.
    »Das ist das einzige Geschäft auf Sounder«, erklärte Jim, der sah, dass Susannah zu dem Haus hinaufblickte. »Der ›Arktische Waschsalon‹, der uns zugleich als Poststelle dient. Meine Frau Fiona hat ihn eine Weile betrieben. Jetzt wird er von Frances Calvert, einer anderen Insulanerin, geleitet. Er ist das Herz der Insel. Partys, Gemeindetreffen, Tanzveranstaltungen, Hochzeiten, Beerdigungen – sie alle finden im Waschsalon statt.«
    »Warum ›arktischer‹ Waschsalon?«, erkundigte sie sich.
    »Ich liebe Gedichte. Es gibt ein Gedicht mit dem Titel Anna wäscht über die erste Frau, die in Alaska eine Wäscherei eröffnet hat. Ihr Geschäft hieß Arktische Wäscherei .«
    Susannah wusste nicht recht, was sie von den Bewohnern Sounders erwartet hatte, aber sie hatte sicher nicht mit einem Bauern gerechnet, der Lehrer war, Gedichte liebte und dessen Mutter Lauren Bacall ähnelte.
    »Der Arktische Waschsalon«, meinte Susannah. »Eine lustige Wortkombination. Ich hätte nie gedacht, dass eine Wäscherei in der Arktis eine große Bedeutung hat. In den Tropen vielleicht, wo alle so viel schwitzen. Ein ›tropischer‹ Waschsalon würde erheblich mehr Sinn machen.«
    »Righty right«, meinte Quinn. Das war eine der von ihm aufgeschnappten Redewendungen, mit denen er Katie in den

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