Das Leuchten der Insel
daran erinnern, wann sie das letzte Mal etwas allein deshalb getan hatte, weil sie es wollte, sie selbst, Susannah.
Sie sah wieder begierig zu dem Schrotthaufen hin. »Kann ich mich da jetzt mal umgucken?«
»Sicher. Warten Sie, ich hole meine Jacke und helfe Ihnen. Oder zumindest berate ich Sie.«
Susannah zog ihre Handschuhe an und begann, in dem Haufen herumzuwühlen. Es war tatsächlich Schrott – Töpfe und Pfannen mit durchgebrannten Böden, rostende Bettfedern, zerbrochenes Geschirr, eine entsorgte Egge, ein Holzstuhl mit nur noch zwei Beinen.
Betty kam in ihrer dicken grünen Jacke aus dem Haus, die Hände in den Taschen.
»Wann kommt Matt?«
Matt. Susannah hatte ihn in den vergangenen vierundzwanzig Stunden fünf Mal angerufen, ihn aber nie erreicht, und er hatte sie auch nicht zurückgerufen.
»Am Tag vor Thanksgiving.«
»Was meinte er zu Katies Gedicht?«, fragte Betty und setzte sich auf eine der hölzernen Stufen vor ihrem Haus.
»Ich weiß es nicht. Seit gestern früh haben wir nicht mehr miteinander telefoniert.« Susannah hielt bei ihrer Suche inne und lehnte sich an einen weinroten hölzernen Fensterladen. »Ich glaube, ich habe unterschätzt, wie schwierig es für ihn ist, dass wir hier draußen sind. Aber das wird Ihnen sicher albern vorkommen. Sie hatten damals, als Ihr Mann weg war, noch nicht einmal Handys oder E-Mails.«
»Wir haben uns Briefe geschrieben.«
Susannah erinnerte sich an Matts ärgerliche Stimme am Telefon. »Vielleicht war das besser.«
Betty sah sie nachdenklich an. »Wir haben im Grunde nicht viel kommuniziert, wenn Bill fort war.«
Susannah seufzte: »Matt kommuniziert selbst dann nicht viel, wenn wir zusammen sind.«
Betty schlang die gekreuzten Arme um ihre Brust, um sich vor der Kälte zu schützen. »Viele Männer tun das nicht. Ich hatte das Glück, einen Mann in meinem Leben zu haben, dem es gelang, mich zu verstehen, der ein guter Zuhörer war und der sich gern über alles Mögliche unterhielt.«
Susannah seufzte erneut: »Dann haben Sie für Ihre Ehe eine gute Wahl getroffen.«
Betty sah Susannah an und hob eine Braue. »Ich habe nicht gesagt, dass dieser Mann mein Ehemann war.«
17. Kapitel
Betty 1962
1 962 war ein schweres Jahr. Selbst jetzt noch, fast fünfzig Jahre später, lag vieles davon für Betty hinter einem grauen Schleier. Im September reiste Bill wieder ab, für eine neunmonatige Arbeitsphase. Im Oktober verfing sich der sechsjährige Jim beim Rennen über eine Wiese mit dem Fuß in einem Loch und brach sich ein Bein. Der Gipsverband, den er daraufhin tragen musste (nach einer Reise ins Krankenhaus, zu der eine knochendurchrüttelnde Fahrt im Pick-up zur Landebahn von Sounder gehört hatte, wo sie ihr Freund Wiley Loughran mit seinem Flugzeug erwartete, um sie nach Bellingham zu fliegen), reichte unten von seinem Fuß bis ganz nach oben zu seinem Hüftknochen. Als sie wieder zu Hause waren, musste ihn Betty überallhin tragen – vom Wagen ins Haus, von Zimmer zu Zimmer und vom Bett zur Couch. Jim war groß für sein Alter und wog weit über zwanzig Kilo. Es war schwere körperliche Arbeit, ihn herumzutragen.
Im November zog Claire mit Don und den Jungs nach San Francisco. Sie fehlte Betty sehr. Claires unbekümmerte Art und ihre Loyalität hatten Bettys Einsamkeit auf Sounder sehr gemildert, und ihre Söhne waren Jims beste Spielkameraden gewesen. Und im Dezember bekam Betty dann ein Telegramm von Bobbie, dass ihre Mutter und ihre Großmutter einen Autounfall gehabt hatten. Als Betty endlich jemanden gefunden hatte, der Jim für ein paar Tage zu sich nehmen konnte, und per Boot, Fähre und Wasserflugzeug die Reise nach Seattle bewältigt hatte, war Grammy bereits tot.
Betty blieb zur Beerdigung und bis geklärt war, was mit ihrer Mutter, die noch mindestens zwei Monate am Stock gehen und Krankengymnastik würde machen müssen, und mit Mel geschehen sollte, die nach dem Unfall derart von Angst gelähmt wurde, dass sie nicht mehr imstande war, das Haus zu verlassen. Schließlich kamen sie überein, dass ihre Mutter für ein paar Monate zu Bobbie ziehen und Mel bis zum 1. März bei Betty auf Sounder wohnen sollte.
In den nächsten zwei Monaten fand Betty keinen Schlaf, oder zumindest hatte sie den Eindruck, dass es so war. Jim wachte jede Nacht mindestens ein Mal auf und musste zur Toilette, und obwohl sie ihm einen Eimer in sein Zimmer gestellt hatte, in den er nachts pinkeln konnte, benötigte er wegen seines klobigen Gipsverbands
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