Das Leuchten der Insel
Körper so unverhohlen, dass ihr Selbstbewusstsein wuchs. Statt sich gleich, nachdem sie ihren Liebesakt beendet hatten, anzukleiden, setzte sie sich nun häufig nackt im Bett auf, während er ihr Tee brachte, oder sie schlüpfte in eines seiner Hemden, um sich gegen die Kälte zu schützen, und setzte sich hinaus auf die Veranda.
»Zumindest geht es nicht in erster Linie um Bill. Bill und ich haben nie darüber gesprochen, ob ich ihm treu bin oder nicht, während er fort ist. Ich glaube, er nimmt einfach an, dass ich das bin. Und wie du weißt, hat er ein paar Jahre nach unserer Heirat unser Ehegelübde gebrochen und weiß Gott wie viele Male noch seitdem.« Sie schloss die Augen und sah erneut die Frau in dem gelben Kleid, die sich lachend an die Reling der Fähre lehnte, während Bills Hände um ihre schmale Taille gelegt waren. Aber der Stich, den sie damals empfunden hatte, war verschwunden. »Natürlich habe ich gegenüber Bill ein gewisses Schuldgefühl – aber was mich wirklich bedrückt, ist Jimmy. Ich bin das moralische Zentrum seines Universums. Ich will nichts tun, was seine Welt durcheinanderbringt.«
»Das will ich auch nicht.« Barfuß stand ihr gegenüber, an das Geländer gelehnt, und streichelte mit einer Hand ihren Fuß. »Du bist eine gute Mutter, ein gutes Vorbild und hast diesem Jungen alles beigebracht, worauf es ankommt. Du hast ihm durch deine Art zu leben und durch das, was du wertschätzt, gezeigt, wie man lebt.«
»Aber wenn er herausfände, dass ich …«
Barfuß hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Pst! Er wird es nicht herausfinden. Weiß er, dass sein Vater untreu ist?«
»Nein, natürlich nicht. Zumindest glaube ich das. Ich habe Jimmy gegenüber oder in Jimmys Beisein nie schlecht über Bill gesprochen.«
»Ich weiß. Aber dein Junge ist nicht dumm, und er ist sensibel. Ihm ist das mit Bill vielleicht nicht bewusst klar, aber ich bin mir sicher, dass er es unbewusst weiß. Er merkt, dass sein Vater zu viel Zeit woanders verbringt, mehr, als er es müsste.«
Sie richtete sich auf. »Aber meinst du nicht, er spürt dann auch, dass ich seinem Vater untreu bin? Dass ich …«
»Elizabeth.« Er ließ ihren Fuß los, beugte sich vor, legte beide Hände auf ihre Knie und blickte ihr eindringlich in die Augen. »Du verwechselst Schuld mit Scham. Ich verstehe, warum du ein gewisses Schuldgefühl wegen der Beziehung zu mir hast. Diese Beziehung überschreitet die Grenzen der Konventionen und der Erwartungshaltungen in unserer Kultur. Es ist in Ordnung, wenn du dich wegen etwas, das du tust , schuldig fühlst. Aber diese Scham , dieses schlechte Gefühl wegen etwas, das du bist , ist unnötig, und es ist falsch.«
Er richtete sich auf, nahm seinen Kaffeebecher von dem abgewetzten Verandageländer und trank einen großen Schluck daraus.
»Jim ist ein kleiner Junge. Aber je älter er wird, desto mehr wird er sich fragen, warum sein Vater so viel weg ist, und verstehen, wie viel du geopfert und wie hart du gearbeitet hast, um ihm ein gutes, sicheres Leben zu bieten. An einem bestimmten Punkt wird er vielleicht sogar in der Lage sein zu verstehen, warum du die Art von Liebe und Respekt, die du verdienst, womöglich erst außerhalb deiner Ehe gefunden hast.«
Sie schüttelte den Kopf: »Nein«, sagte sie. »Ich will nicht, dass er hierüber Bescheid weiß. Er vergöttert seinen Vater.«
»Er ist sieben Jahre alt. In neun oder zehn Jahren wird er die Welt mit anderen Augen sehen.« Barfuß lehnte sich wieder gegen das Geländer der Veranda. »Dies ist alles sehr neu. Wir wissen nicht, was noch geschehen kann und wohin uns dies im Lauf der Jahre vielleicht führt. Ich kann dir allerdings jetzt schon sagen, dass ich es nicht als etwas Oberflächliches empfinde.«
Sie sah zu ihm hoch. »Ich auch nicht.«
Schweigen füllte den Raum zwischen ihnen für eine Weile, aber es war ein behagliches Schweigen. Schließlich ergriff Barfuß das Wort.
»Am 15. Juni reise ich nach Indien.«
Sie spürte, wie ihr Herz zu taumeln begann. »Für wie lange?«
»Vier Monate.«
Sie atmete tief durch. »Das ist eine lange Zeit.«
»Nicht wirklich lang. Ich werde während des Sommers fort sein, wenn dein Mann zu Hause ist. Das wird dir die Sache erleichtern.«
»Ja.« Sie legte beide Hände um den warmen Keramikbecher. »Was wirst du dort tun?«
»In Indien werde ich über Melonen forschen und Samen sammeln. Es gibt Sorgen wegen des Mehltaus, der vor ein paar Jahren in Kalifornien die
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