Das Leuchten der schottischen Wälder
sind nur schwer zu erreichen. Aber das wissen Sie ja.“
Als Lena zustimmend nickte, fuhr er fort: „Broadfield ist der zentrale Ort, der Mittelpunkt sozusagen. Hier laufen alle Fäden zusammen“, versicherte er stolz, während er einen Plan auf dem Tisch ausbreitete und mit dem Finger auf der Karte erklärte, wie weit das Gebiet der ärztlichen Betreuung reichte.
Er redete und lobte und präsentierte, würdigte und pries seine Gemeinde fast eine Stunde lang, und Lena dachte erschrocken, dass sie ihn bald unterbrechen sollte, wenn sie noch Fragen stellen wollte. Und so nahm sie selbstbewusst den Verlauf dieser kleinen Konferenz in die Hand und sagte plötzlich: „Verehrter Herr Bürgermeister, ich danke Ihnen, dass Sie mich mit Broadfield so intensiv vertraut gemacht haben. Ich war in den letzten Jahren immer nur zu kurzen Besuchen hier bei meinen Eltern, da ist es gut, dass Sie mir die Gegenwart deutlich gemacht haben. Aber jetzt möchte ich gern ein paar Fragen stellen.“
Verblüfft schwieg der dicke alte Mann, aber dann lachte er und erklärte: „Verzeihen Sie, aber ich liebe unsere Gemeinde und lasse mich gern etwas hinreißen.“
Nun lachte auch Lena und zog ihren Zettel mit den Fragen aus der Tasche. „Darf ich anfangen?“
„Aber bitte sehr. Nur heraus damit.“
„Zunächst möchte ich wissen: Suchen Sie einen Arzt, der von der Gemeinde angestellt ist, oder der frei arbeiten kann? Ich weiß nicht, wie das bei meinem Vater gehandhabt wurde.“
„Ich suche natürlich einen eigenständigen Arzt, der mit der Gemeinde als Institution kaum etwas zu tun hat. Nur wenn es um eine allgemeinmedizinische Arbeit geht, habe ich als Bürgermeister ein Mitspracherecht.“
Verblüfft sah Lena den Mann am Schreibtisch gegenüber an. „Was verstehen Sie darunter?“
„Schuluntersuchungen zum Beispiel oder Maßnahmen, die das Gesundheitsamt in Barcaldine vorschreibt, Impfungen und solche Sachen.“
„Ich verstehe. Danke, das deckt sich mit meinen Vorstellungen. Eine andere Frage: Gibt es hier in der Umgebung andere Mediziner, ich meine Laien, die auf der Basis von Naturheilkunde arbeiten? Ich weiß, dass das auf dem Land oft üblich ist.“
„Es gibt eine irische Heilerin die, wie die Leute sagen, über Naturheilkräfte verfügt, zu ihr gehen sie manchmal. Und eine Hebamme haben wir in Bonawe.“
„Danke, ich wollte nur wissen, ob es eine unmittelbare Konkurrenz für mich gibt.“ Lena blickte ihr Gegenüber nachdenklich an.
„Nein, nein, ganz bestimmt nicht.“
„Wie sieht es mit der Bevölkerung aus, Broadfield macht einen sehr ruhigen, um nicht zu sagen, verlassenen Eindruck, wer lebt hier noch? Sind es nur die Alten, die sich von ihrer Heimat nicht trennen können, oder gibt es auch junge Leute hier?“
„Ja, da haben wir ein Problem. Die Wirtschaftskrise verschont auch die Highlands nicht. Die Landwirtschaft ist unrentabel geworden. Die Bauern verlassen ihre Höfe und verdingen sich als Saisonarbeiter oder suchen Arbeit in der Stadt. Zurück bleiben die Frauen mit ihren Kindern und alte Leute, die versuchen dann mit den Resten von Vieh und mit etwas Feldarbeit die notwendigen Lebensmittel zu erwirtschaften. Die Männer kommen an den Wochenenden, spielen dann den großen Macker, und oft kommt es zu Streitereien. Alkohol ist da auch ein großes Problem. Sie sehen, ich bin ganz ehrlich, leicht wird es hier nicht sein. Ihr Vater hat sich oft genug bei mir beklagt. Und arm ist Broadfield auch.“
„Ja, diese Probleme sind mir bekannt. Meine Mutter hat nicht umsonst mit der Alpakazucht angefangen.“
„Oh, das war eine vorzügliche Idee. Ich wünschte, wir könnten diese Zucht auf das Dorf ausweiten, das ergäbe eine Einnahmequelle für alle.“
„Darüber können wir sprechen, ich allein kann mich sowieso nicht darum kümmern. Und welche Möglichkeiten gibt es in Broadfield sonst noch, um Land und Leuten ein wenig auf die Sprünge zu helfen?“
„Wir haben zwei Schafherden, um die Heide zu verbeißen. Wenn wir die Felle schön verarbeiten und auch die Wolle verkaufen, kommt etwas Geld herein, aber es ist eigentlich nicht der Rede wert. Und wir bieten Kutschfahrten an, das mögen die Touristen, und die bringen Geld mit. Nicht viel, aber es reicht für das Nötigste“, unterstrich der Bürgermeister.
Lena nickte. „Ich verstehe. Und wo sind die jungen Leute? Der Nachwuchs, sozusagen?“
„Die sind längst nach Glasgow oder Edinburgh oder Inverness abgewandert. Erst wenn sie arbeitslos
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