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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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wie zwei, die Zeugen eines Unglücks geworden waren.
    In Ninas Schlafzimmer wehten vor dem offenen Fenster die Vorhänge, und die Bäume rauschten leise. Das Licht der Straßenlampe, das Martens so mochte, war auch da, alles stimmte. Nina lag bäuchlings auf dem Bett, und Martens massierte ihren Nacken, dann die Schultern, er ließ sich viel Zeit. Er schob zwei Finger hoch in Ninas Haaransatz, übte einen leichten Druck mit den Fingerspitzen aus, machte dann die Kralle und kratzte mit allen Fingern sanft über ihren Nacken bis hinunter zwischen die Schulterblätter. Nina atmete ruhig, die Arme vorgestreckt, sie wartete darauf, welche Berührungen er sich als Nächstes einfallen ließ. Noch nie hatte er ihre Kniekehlen massiert, aber heute tat er es, er wollte etwas Neues tun, zum Abschied.

II | Basiscamp

Miriam
    Sie starteten aus einem trüben, regnerischen Tag hinauf in die Sonne, die nun wärmend durch das Bullauge schien, während unten ein Aufruhr aus grauen Wolken zurückblieb. Miriam schaute schweigend aus dem Bullauge, in einer Art Selbsttröstung rieb sie sich mit dem Daumen über die andere Hand. Bis kurz vor dem Start hatte sie mit Sinan telefoniert, aber das war ein Fehler gewesen, es hatte beiden den Abschied nur schwerer gemacht. Martens hatte Sinan durchs Handy weinen gehört.
    Der Bundeswehr-Airbus war voller Menschen, die jemanden zurückließen und die sich fragten: Ist es richtig – wird sie mir treu bleiben – wo werde ich sein, wenn mein Kind das erste Wort spricht. Niemandem war nach einem längeren Gespräch zumute, keiner lachte. Martens beobachtete es, war aber selbst in einem ganz anderen Zustand. Er fühlte sich gut. Er dachte, dass er hier der Einzige war, der in sein natürliches Habitat zurückkehrte wie ein Tier, das eine Weile im Zoo verbracht hatte und nun wieder ausgewildert wurde. Natürlich ließ auch er unter den Wolken Menschen zurück. Merkwürdigerweise fiel ihm als Erstes Sandra ein, seine frühere Frau, mit der er sich regelmäßig zum Mittagessen traf, um die vorsichtige Freundschaft zu pflegen, die zwischen ihnen entstanden war. Aber seine Beziehungen waren Verbindungen ohne Verpflichtung, schmetterlingshaft, sodass er ganz unbeschwert wegfliegen konnte. Früher, in seiner Zeit der Ehe, war das anders gewesen, da hatte er denselben Trennungsschmerz empfunden wie jetzt Miriam. Sein kleines Töchterchen Nives hatte er jedes Mal zurückgelassen für Wochen, manchmal Monate, und er war sich stets bewusst gewesen, dass er ein kleines Verbrechen an ihr beging. Er trug noch immer das Foto von Nives in seiner Brieftasche mit sich, sie war bei der Aufnahme vier Jahre alt gewesen, und das Foto zerfiel fast, so oft und an so vielen Abenden hatte er es in seinen Fingern gehalten, meistens in warmen Ländern, die Feuchtigkeit war in das Fotopapier gekrochen. Nives trug auf dem Bild Zöpfe, die er ihr geflochten hatte, und ihr pausbäckiges Lächeln rührte ihn stets aufs Neue, auch heute noch, denn es war ein skeptisches und ein wenig trauriges Lächeln. Damals waren alle Verbindungen verpflichtender gewesen, und manchmal hatte er an den Verpflichtungen gezerrt wie ein Hofhund an der Leine, ein Hund, der seines Hofes überdrüssig war. Was hatte Miriam gesagt, an jenem ersten Abend? Ein Mann, der sonntags nicht gern mit seiner Frau und seinem Kind spazieren geht, versteht von drei Dingen nichts.
    Aber Martens fühlte sich zu gut, um darüber nachzudenken, was mit ihm nicht stimmte. Sein Blut, so empfand er es, floss kräftiger durch seine Adern, seine Nase nahm Witterung auf. Für drei Wochen immerhin würde er befreit sein von seinen Vorsätzen, ein gewöhnliches Leben zu führen und seine Verhältnisse zu stabilisieren, endlich erwachsen zu werden, vielleicht war es ja auch das.
    Alles in Ordnung?, fragte er Miriam, weil sie nun schon so lange geschwiegen hatte.
    Sie drehte sich zu ihm um, sie zeigte ihm ihr Gesicht, das in ihm den Wunsch weckte, es zu betrachten, ohne dass Miriam es bemerkte. Das wäre möglich gewesen, wenn sie schlief, nur hätte er dann ausgerechnet ihre Augen nicht gesehen, die ihn erregten und die jetzt flackerten wie eine Kerzenflamme in einem Luftzug. Er wollte den Anblick dieser Augen genießen, aber es schob sich das Bild der Augen jenes zehnjährigen Knaben dazwischen, den er im Sudan gesehen hatte, ein zum Kriegsdienst gezwungenes Kind, das all seine Kraft benötigt hatte, um das schwere Maschinengewehr zu tragen, und dessen schöne Augen tot gewesen

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