Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
hatte sich geschminkt wie bei der Hochzeit, und auf dem Arm trug sie Sophie. Sie weinte vor Aufregung und Glück, als Kampe aus der Ankunftshalle kam, und sie überreichte ihm die Tochter. Kampe nahm sie auf den Arm, Sophie begann zu schreien, drehte den Kopf von ihm weg, streckte die Arme nach der Mutter aus. Kampe gab das Kind seiner Frau zurück.
Einen Monat später saß er im Warteraum des Truppenpsychologen, auf Wunsch seiner Frau, sie sagte, seit seiner Rückkehr esse er kaum noch, was sie für ihn auch koche, nie sei er zufrieden. Er liege den halben Tag im Bett, und er sei oft sehr gereizt. Sie wisse manchmal gar nicht, warum er plötzlich laut werde, richtig laut, sie kenne ihn so gar nicht. Er sei früher nie so gewesen. Nach einigen Gesprächen sah der Truppenpsychologe die Ursache für Kampes Wesensveränderung in den traumatischen Erlebnissen während seines Einsatzes.
Aber Martens war mit Kampe dort gewesen. Er war Zeuge von Kampes bester Zeit geworden, hatte miterlebt, wie wohl, ja glücklich sich Kampe in der Einfachheit der Kriegswelt gefühlt hatte, wie sehr ihm die klaren Strukturen entsprochen hatten. Selbst die Angst hatte Kampe genossen, sie hatte ihn belebt wie zuvor nichts anderes. Der Truppenpsychologe irrte sich: Kampes Trauma war nicht der Krieg, sondern das Häuschen in Rankwitz, die Rückkehr zu Frau und Kind. Sein Trauma war das gewöhnliche Leben, das so schwierig zu führen war, weil es aus lauter Belanglosigkeiten bestand, zu deren Bewältigung dennoch eine große Anstrengung nötig war. Nach Afghanistan konnte Kampe in diesen Anstrengungen erst recht keinen Sinn mehr erkennen, sie kamen ihm nichtig vor im Vergleich zu seinen Anstrengungen, zu überleben, nicht erschossen oder in die Luft gesprengt zu werden. Er konnte sich nun nicht einfach wieder um defekte Waschmaschinen kümmern, und die erwartungsvollen Blicke seiner Frau, wenn sie sich neben ihn aufs Sofa setzte, empfand er als beklemmend. Er liebte seine Frau, und er liebte seine Tochter, aber wenn er sich die Jahre vorstellte, die nun vor ihm lagen, die Jahre, deren Ablauf bereits feststand – das Haus umbauen, das Haus instand halten, die neue Dachrinne nach fünf Jahren, die neue Heizung nach zehn Jahren –, kam es ihm schal vor gegen das, was er in Kunduz erlebt hatte, wo alles gleichzeitig einfach und unvorhersehbar gewesen war. Er saß auf dem Sofa neben seiner Frau, die sich mit einem Finger eine Träne wegwischte, und er schmeckte auf seiner Zunge den Staub, diesen mehligen Staub, der eigentlich nach nichts schmeckte, den man hasste, wenn man dort war, aber hier, in Rankwitz, schmeckte er nach etwas, und es war ein angenehmer, ehrlicher Geschmack. Kampe meldete sich für eine zweite Dienstzeit in Afghanistan, aber aufgrund der Diagnose des Truppenpsychologen wurde seine Bitte abschlägig beschieden.
Martens’ Reportage, in der er dies alles geschildert hatte, war bei den Lesern nicht gut angekommen wegen der deutlichen Parteinahme für Kampe, und weil es vielen schwerfiel zu akzeptieren, dass Kampes Trauma der Alltag in Rankwitz war. Die Leser hatten dies als Herabminderung ihres eigenen Alltags empfunden. Zwangsläufig gipfelte die Empörung oder eigentlich die Verunsicherung in einem Leserbrief, in dem jemand die Reportage geistig in der Nazizeit ansiedelte.
Riesling
Vor einer Stunde waren sie in Termez gelandet, dem Stützpunkt der Bundeswehr in Usbekistan nahe der afghanischen Grenze. Der Zwischenhalt war nötig, weil man von hier aus in einer Transall weiterfliegen musste, einem Transportflugzeug, das über ein Raketenabwehrsystem verfügte. Die Taliban wären zwar kaum in der Lage gewesen, einen Airbus abzuschießen, aber die Bundeswehr durfte kein Risiko eingehen. Das Problem der Taliban war der Mangel an schweren Waffen und das der Bundeswehr die enorme Bedeutung eines einzelnen Soldatenlebens. Das mochte zynisch klingen, aber eine Armee, in der das Leben eines Soldaten einen so hohen Wert hatte, war ziemlich gehandicapt.
Nach der Ausweiskontrolle und der Zuweisung der Schlafplätze saßen Miriam und Martens im Unterkunftsbereich des Flughafens auf einer Bank draußen unter fiebrigen Sternen, es war eine dampfend heiße Nacht. Soldaten mit Kulturbeuteln unter dem Arm gingen an ihnen vorbei, einer putzte sich die Zähne im Gehen. In den übereinandergestapelten Schlafcontainern gingen die ersten Lichter aus. Es war hier alles sehr einfach eingerichtet, alles fand hinter dünnen Containerwänden statt,
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