Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
jeder aus einem anderen Grund, sie, weil die Köstlichkeit sie über den Schmerz hinwegtröstete, er, weil er ihr eine Freude hatte machen können und weil es ihm überhaupt gut ging und er Lust hatte, zu fressen und zu saufen und seine Auswilderung zu feiern.
Kampe
Der Flug war lang und erzeugte Schläfer. Das gleichmäßige Rauschen der Triebwerke. Die ruhige Stetigkeit, mit der es voranging. Die meisten Soldaten schliefen, auch Miriam hatte ihre Rückenlehne nach hinten gestellt und schlief in gerader Haltung, die Hände im Schoß verschränkt. Das Bullauge war ausgefüllt mit Sternen. Martens hielt Wacht. Er blickte über die Sitzreihen, sah die Hinterköpfe, blonde, braune, kurzhaarige Hinterköpfe von Männern aus Bochum, Hannover, Hildesheim, aus Städten mit Fußgängerzonen und Nachtruhegesetzen, Städten, in denen Stromausfälle unbekannt waren und das Wasser trinkbar aus dem Hahn floss. Viele auch der jüngeren Soldaten, das wusste Martens von früheren Aufenthalten in Afghanistan, waren verheiratet, hatten kleine Kinder. Soldaten gründeten früh Familien, und dann, eines Tages, fassten sie den Entschluss, sich freiwillig nach Afghanistan zu melden, ihre Frauen und Kinder für ein halbes Jahr zu verlassen, die bequeme Matratze des Ehebetts zu tauschen gegen ein rohes Feldbett: Sie wollten fortan abgekochtes Wasser aus dem Henkelmann trinken.
Vor anderthalb Jahren hatte Martens einen Soldaten aus Rankwitz auf Usedom porträtiert. Fünf Wochen lang hatte er Klaus Kampe bei seinem Einsatz in Kunduz begleitet. Kampe war ein Mann mit einfachen Bedürfnissen gewesen. Er wollte seinen Beruf ausüben, er wollte abends seine Ration Bier trinken und Thüringer Rostbratwürste essen. Er war ständig übermüdet, weil er vor Einsätzen schlecht schlief, und da er einer Patrouille zugeteilt war und sehr häufig ausrückte, gab es kaum eine Nacht, in der er sich nicht von einer Seite auf die andere wälzte. Binnen zwei Monaten hatte Kampe fünfmal Feindberührung. Bei der Explosion einer am Straßenrand versteckten Bombe wurde er durch einen Splitter leicht verletzt. Er zog sein Hemd hoch und zeigte Martens die noch rötlich verfärbte Narbe. Kampe jauchzte vor Begeisterung, wenn das gepanzerte Fahrzeug, zu dessen Besatzung er gehörte, sich mit heulendem Motor durchs Wasser eines über die Ufer getretenen Flusses pflügte. Er benutzte für die Einheimischen derbe Ausdrücke, nur die Frauen taten ihm leid, er hätte sie gerne von der Burka befreit.
Einmal zeigte er Martens in seiner Unterkunft Fotos von seiner Tochter Sophie, die erst drei Monate alt war und die er seit ihrer Geburt nicht mehr gesehen hatte. Martens bekam auch Fotos von Kampes Frau zu sehen, die sehr hübsch war, aber zu jung, um schon eine Tochter und einen Mann zu haben. Ein kleines Haus stand an der Hauptstraße von Rankwitz, das war Kampes Elternhaus, das er zusammen mit zwei Freunden nach seiner Rückkehr aus Afghanistan umbauen wollte, die Eltern lebten in einem Pflegeheim. Immer sonntags, wenn es die Gefechtslage zuließ, unterhielt sich Kampe über Skype mit seiner Frau, die ihm erzählte, dass Sophie Papa gesagt hätte, jedenfalls habe es sich so angehört. Sie erzählte ihm, dass die Waschmaschine im Schleudergang sich aus der Verankerung gelöst habe und dass der Monteur erst in drei Tagen Zeit habe, so lange könne sie jetzt nicht waschen, denn die Waschmaschine springe im Schleudergang regelrecht herum. Sie erzählte ihm, die Nachbarin, Frau Labahn, habe sie zum Kuchen eingeladen, aber die Labahn habe doch einen Hund, und Sophie habe Angst vor Hunden. Dann fragte seine Frau ihn, wie es ihm gehe, ob er gesund sei, sie habe immer Angst, wenn sie in den Nachrichten höre, dass wieder ein deutscher Soldat gefallen sei. Und Kampe sagte: Mir geht’s gut, mach dir mal keine Sorgen, Unkraut vergeht nicht. Er war immer erleichtert, wenn diese Gespräche vorbei waren, und dann setzte er sich zu seinen Kameraden nach draußen unter das Tarnnetz, das sie als Sonnenschutz zwischen die Baracken gespannt hatten, und spielte eine Runde Skat. Auf einer Patrouille geriet Kampes Zug in einen Hinterhalt, und Kampe schoss wie wild in die Staubwolken, keiner konnte etwas sehen, keiner hatte eine Ahnung, in der Staubwolke zuckte das Mündungsfeuer wie die Blitze in einem Sommergewitter auf Usedom. Wochen später kehrte Kampe nach Deutschland zurück. Am Flughafen wartete seine Frau auf ihn, sie hatte für ihn ein schönes Kleid angezogen, rot und kurz, sie
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