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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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glücklich gewesen war. Sie hat ihren Mann geliebt, dachte Martens, so wie ich Sandra geliebt habe. Sie ist nicht mehr mit ihm zusammen, aber sie hat ihn geliebt, das ist das Entscheidende. Er war sehr gespannt, ob sie Rilke mochte.
    Bedenken: wem
    Manche Orte waren nur durch lange, komplizierte Reisen zu erreichen, und es waren nicht immer die besten Orte. Martens kannte Feyzabad nur aus dem Internet, er wusste, dass es auf 1200 Metern über dem Meer lag, das bedeutete kalte Nächte, selbst jetzt im Frühsommer. Er wusste, dass das dortige Bundeswehrcamp zu den kleineren gehörte, das bedeutete Überschaubarkeit, also weniger Bewegungsfreiheit für Journalisten, und eine kleine Kantine mit beschränkter Speisekarte.
    Und sie waren noch nicht einmal dort.
    Auf dem Flughafen von Mazar-i Sharif mussten sie in eine andere Transall umsteigen. Zusammen mit einigen Soldaten, die im Camp Feyzabad Dienst leisten sollten, gingen sie zu der Maschine, die in der afghanischen Mittagssonne glühte, die Luft war ganz verzerrt. Martens liebte die Hitze, und die kalten Nächte im Hochland vor Augen genoss er sie umso mehr. Er mochte es, wenn ihm unter dem Hemd der Schweiß den Rücken hinunterlief. Er mochte es allerdings jetzt, da Miriam dabei war, nicht so sehr wie sonst immer, er war ja in diesen Weltgegenden sonst meistens mit Männern unterwegs gewesen, die selber schwitzten und sich nicht um ihren Geruch scherten und nicht um den des Nebenmannes. Mit einer Frau zu reisen war aufwendiger, Martens hatte zehn Ersatzhemden eingepackt, acht weiße und zwei schwarze. Miriam trug gern enge, weiße T-Shirts, fiel ihm auf, heute wieder eins, und dazu eine sandfarbene Hose mit Beintaschen, wie sie Ende der Neunzigerjahre bei Snowboardfahrern und Ravern beliebt gewesen war. Die Hose erinnerte ihn an den Altersunterschied zwischen ihnen. Miriams Generation war die erste gewesen, der gegenüber er sich damals als älter empfunden hatte. Eines Tages in den späten Achtzigerjahren waren ihm auf der Straße plötzlich Jugendliche begegnet, die seine Kleidung altmodisch fanden, die andere Musik hörten, dieses monotone Pumpen, das Verschwinden der Erzählung aus der Musik zugunsten des reinen Rhythmus. Soeben war er noch der Jugendliche gewesen, und nun vertrieben sie ihn von diesem wunderbaren, sonnigen Platz und verwiesen ihn ins Reich der Lehrer und Eltern. Gerade Miriams Hosen mit ihren überflüssigen Beintaschen waren für ihn ein Symbol dieser Entthronung.
    Mit eingezogenen Köpfen stiegen sie in die enge Transall ein, und als sie auf ihren Sitzen gut angeschnallt saßen, sagte er, wie hieß diese Sängerin schon wieder, von der Sie mir gestern Abend ein Lied vorgespielt haben?
    Cat Power, sagte sie.
    Ich werde mir Cat Power auf mein iPhone runterladen, sagte er. Nicht, dass Sie denken, dass ich mir nur Led Zeppelin anhöre. Led Zeppelin klang verstaubt, es klang nach altem Hippie, er hatte das Bedürfnis, sich davon zu distanzieren, allein schon, weil ihr früherer Mann ein Zeppelin-Fan war. Er sagte, er höre sich gerne amerikanische Songwriter an, Ryan Adams, aber auch neue Gruppen wie Kings of Leon. Sie kannte Kings of Leon, und er dachte, dass ihr früherer Mann vermutlich älter war als sie, hätte er sonst Zeppelin gehört? Und Bachs Klavierwerke, sagte er, gespielt von Angela Hewitt. Sie sagte, sie habe sich, als sie mit Sinan schwanger gewesen sei, fast jeden Tag Jesus bleibet meine Freude angehört, gespielt von Dinu Lipatti. Diese Musik habe sie richtiggehend beglückt. Als Sinan drei Jahre alt gewesen sei, habe sie ihm das Stück einmal vorgespielt, und er habe sich vor die Lautsprecher gesetzt und ganz ruhig zugehört. Er habe es sich immer wieder anhören wollen. Und das ist noch heute so, sagte Miriam, immer wenn er müde ist, aber zu aufgeregt, um einzuschlafen, hören wir uns zusammen diese Musik an, dann entspannt er sich sofort. Nach dem Tod seines Opas hat er es sich manchmal zehn Mal am Tag angehört. Einmal sagte er, Mama, wenn ich tot bin, möchte ich diese Musik hören.
    Sie kannte also Lipatti, und sie hatte einen Sohn, der im Mutterleib mit dem Präludium von Jesus bleibet meine Freude herangewachsen war und der deshalb mit fünf Jahren schon erkannte, dass diese Musik einer Überwindung des Todes gleichkam.
    Sie warteten auf den Start. Miriam sah inmitten der Soldaten und rohen Gerätschaften verwegen aus, eine schöne Abenteurerin. Aber die Soldaten, die in der Transall dicht gedrängt saßen und die viel

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