Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
die hygienischen Verrichtungen, das Onanieren, das Schlafen, und überall stapelten sich auf Paletten Güter für die Truppe, Nahrung, Getränke; Feldwebel eilten mit Listen in den Händen über den Vorplatz.
Miriam zog die Flasche Weißwein aus ihrer Tasche hervor, den Wein, den sie vorhin im Gepäckraum aus ihrem Koffer geholt hatte, zusammen mit dem Nötigsten für die Nacht. Es war ein Riesling, und da sie keinen Korkenzieher hatten, stellte Miriam die Flasche vor sich auf den Boden. Sie band einen ihrer Schuhe auf, sie trug eine Art Wanderschuhe, setzte als Meißel ein Feuerzeug auf den Korken und hämmerte ihn mit dem Schuh in die Flasche. Sie trank zuerst, mit beiden Händen stützte sie die Flasche an, dann gab sie sie an Martens weiter, sie sagte, er schmeckt nach Korken.
Und er ist zu warm, sagte Martens, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Aber es wird für lange Zeit der letzte sein, also sollten wir ihn genießen.
Er zündete sich eine Zigarette an, es war die erste seit dem Abflug in Köln. Martens hätte schon nach der Landung in Termez wieder rauchen können, aber er hatte es bis jetzt hinausgezögert, um den Genuss zu erhöhen. Tatsächlich schmeckte die Zigarette zusammen mit dem Wein wunderbar. Die Glut leuchtete gemütlich auf, und auf der anderen Seite des Platzes antworteten andere Glutpunkte wie sehnsüchtige Glühwürmchen.
Miriam trank mit geschlossenen Augen, das gefiel ihm. Sie hatte einen genießerischen Mund, bestimmt mochte sie lange, sanfte Küsse, er lächelte über diesen knabenhaften Gedanken.
Wie oft waren Sie eigentlich schon in Afghanistan?, fragte er.
Noch nie, habe ich Ihnen das nicht erzählt?
Nein, sagte er.
Ich dachte, ich hätte es Ihnen gesagt, bei unserem Abendessen. Nein, ich war noch nie da.
Ich dachte, dass Sie schon sehr oft dort waren, sagte er, wegen Ihres Vaters.
Mein Vater hat Afghanistan anfang der Sechzigerjahre verlassen, sagte sie, und er hat das Land bis zu seinem Tod nie mehr betreten.
Darf ich fragen, warum nicht?
Sie beugte sich zu ihm und sagte, ich muss Ihnen etwas gestehen.
Ja, was denn?
Ich mag eigentlich die Musik von Led Zeppelin gar nicht, sagte sie. Aber Sie wollten sie an dem Abend gerne hören, und ich hatte noch eine CD da, sie gehört meinem früheren Mann.
Ach so, sagte er. Ich dachte, Robert Plant sei einer Ihrer Lieblingssänger, sagten Sie das nicht?
Ich habe gelogen. Ich mag diese Art von Musik nicht, zu viel Testosteron in Satinhosen. Wollen Sie mal hören, was mir wirklich gefällt?
Wenn es diesmal stimmt, sagte er.
Sie zog ihren iPod hervor und gab ihm die Kopfhörer.
Eine Sängerin sang mit einer rauchigen, zurückhaltenden Stimme einen melancholischen Song, der ihm gefiel.
Das ist Cat Power, sagte Miriam. Kennen Sie sie?
Nein. Aber es gefällt mir.
Madonna kennen Sie aber schon.
Ja, sagte er. Sie war eben doch jünger als er, er fand Madonna auf allerdings grandiose Weise trivial.
Miriam, sagte er. Wir werden morgen Abend in Feyzabad ankommen. Und ich kenne noch immer nicht den Plan. Wie ist der Ablauf? Wann treffen wir Ihren Informanten? Und jetzt, wo ich weiß, dass Sie noch nie in Afghanistan waren und Ihr Vater fünfzig Jahre lang nicht dort war, bin ich umso neugieriger darauf zu erfahren, wer Ihr Informant ist und wieso er ausgerechnet Ihnen die Geschichte der Bacha Posh erzählt hat.
Haben Sie die zehntausend Dollar dabei?, fragte sie.
In meinem Koffer, sagte er.
Sobald wir dort sind, sagte sie, nehme ich Kontakt auf mit meinem Informanten, an das Wort muss ich mich gewöhnen. Er wird uns zu Malalai bringen. Mehr kann ich Ihnen einfach nicht sagen. Sie werden das eines Tages verstehen.
Miriam stand auf, trank im Stehen aus der Weinflasche und reichte sie Martens.
Ich gehe jetzt schlafen, sagte sie. Seien Sie mir nicht böse.
Ich bin Ihnen nicht böse.
Sie schauen mich aber so an, sagte sie.
Sie machen es nur sehr geheimnisvoll, sagte er. Aber Sie werden Ihre Gründe dafür haben.
Sie verabschiedete sich, ging zu ihrem Schlafcontainer, und sie drehte sich noch einmal nach ihm um und hob kurz die Hand.
Sie war noch nie in Afghanistan, dachte er, sie hat keine Kameratasche dabei, sie behauptet, dass Robert Plant ihr Lieblingssänger ist, und dann stimmt es nicht. Sie will mir nicht sagen, warum ihr Vater nie wieder nach Afghanistan zurückgekehrt ist, und sie sagt mir nicht, wer ihr Informant ist. Wahrscheinlich ist es ein Verwandter von ihr, dachte er, sie hat doch bestimmt Verwandte hier,
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