Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
der New Yorker seine Reportagen gedruckt. Er hätte wissen müssen, dass es nicht ewig so weitergehen konnte, dass der Tag kommen würde, an dem der Chefredakteur des New Yorker ihm in einer Mail mitteilte, dass die Thematik der Reportage, die Martens ihm angeboten hatte, sich leider mit der einer anderen überschneide, für die man sich entschieden habe, was bedeutete, dass der andere Text besser war. Man konnte nicht sein Geld mit vollen Händen ausgeben und schlechter werden als andere, man konnte nicht mittags bei Hartmanns confierten Hummer mit dreierlei Blumenkohl und Haselnuss essen, während die Chefredakteure und Ressortleiter immer jünger wurden und kaum noch wussten, wer man war und was man geleistet hatte. Man durfte nicht zugleich schlechter und älter werden, nicht ohne einige Hunderttausend Euro Rückendeckung.
Spare in der Zeit, so hast du nach dem Tod, hatte Martens früher gespottet, aber das Leben belohnte nicht die Spötter, sondern die, die sich mit der Gewöhnlichkeit abfanden und die bei einem Abendessen über Altersvorsorge sprachen und über Eigentumswohnungen als Wertanlage in Zeiten der Inflation.
Martens verließ das Bürgeramt und stieg in sein Auto, dessen Drosselklappe defekt war, ihn erwarteten Reparaturkosten, die er sich im Augenblick nicht leisten konnte. Nicht einmal für eine neue Drosselklappe reichte es noch. Ihm gehörte zwar zusammen mit seinem Bruder und der Mutter aus dem Erbe seines Vaters ein Hausteil in Friedrichshain, aber in dem Haus lebte seine Mutter zur Nutznießung, es durfte testamentarisch erst nach ihrem Tod verkauft werden. Und du wirst dir jetzt nicht Mamas Tod wünschen, dachte Martens, nur weil du eine neue Drosselklappe brauchst!
Weißes Hemd
Zu Hause, wenn man es so nennen wollte, nahm Martens eins seiner weißen Hemden vom Kleiderhaken. Seinen Bauernschrank, den er sehr geliebt hatte, ein antikes, wuchtiges und lebendiges Möbelstück, hatte er verkauft, es war in der kleinen Wohnung einfach kein Platz dafür, der Schrank hätte ihn erdrückt. Er hatte ein paar Nägel in die Wand geschlagen, daran je einen Kleiderbügel gehängt, und seine Hemden hängte er nun wiederum an Bügeln an diese Basisbügel. Es sah in seiner Einfachheit sogar gut aus, wie die Idee eines Designers, der auf Minimalismus setzt. Vor dem kleinen, goldgerahmten Spiegel aus dem 19. Jahrhundert, einem Stück aus der Erbmasse seiner Großmutter, knöpfte Martens sich das Hemd zu, das er sich vor einigen Jahren von seinem damaligen Schneider hatte auf den Leib schneidern lassen. Der Leib hatte sich seitdem aber verändert, vor allem im letzten Jahr. Je weniger Aufträge Martens hatte aquirieren können, desto teurer und mehr hatte er gegessen, aus Trotz oder einem kindlichen Ehrgefühl heraus. Vielleicht ließ sich die Gewichtszunahme aber auch simpel dadurch erklären, dass er wegen der schlechten Auftragslage mehr Zeit zum Schlemmen gehabt hatte.
Er ging vor dem Spiegel in die Hocke, um zu überprüfen, ob das Hemd sich beim Sitzen über dem Bauch zu sehr spannte, ob es sich durch die Spannung zwischen zwei Knöpfen ein wenig öffnete und den Blick freigab auf seine Haut. Und so war es. Die Frau, Miriam, dachte er, würde also zwischen den Hemdknöpfen ein wenig Haut sehen, das konnte er nicht verhindern. Er zog über das Hemd sein gleichfalls maßgeschneidertes Sakko an, aus dünnem Leinen, beige mit bordeauxfarbenem Futteral. Die braunen Schuhe, die er auf dem Bürgeramt getragen hatte, streifte er ab und zog die schwarzen italienischen an: Never wear brown after six.
Er betrachtete nun das Gesamtwerk im Spiegel. Ja, er hatte einen Bauch, und er war nicht besonders groß, sodass der Bauch schon wirklich ins Auge fiel. Aber die Eleganz der Maßanfertigungen übertünchte vorerst noch die Mängel.
Was für ein Gesicht!, tröstete Martens sich, als er sich im Spiegel anschaute. Er hatte ein wirklich gutes Gesicht, fand er, ein kräftiges, ausdrucksstarkes Gesicht mit großen, dunkelbraunen Augen. Levantinische Augen, ererbt von einem aus dem Libanon stammenden Urgroßvater, und eine markante Nase. Seine Haare, die sich nicht bändigen ließen. Noch immer blond, nicht mehr so leuchtend wie früher, aber ihm wollte kein graues Haar wachsen, und dazu dieser intensive Blick aus den dunklen Augen – so kann man ausgehen, dachte er.
Du bist der eitelste Mann, der mir je begegnet ist, hatte Nina einmal gesagt. Sie mochte aber seine Eitelkeit, denn auf eitle Männer war Verlass, sie
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