Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
erste Zigarette. Sie paffte gleich drei hintereinander. Und eine Woche später, dachte er, fuhr ich mit der Patrouille von Oberfeldwebel Kessler nach Quatliam. Ein Hinterhalt, Schüsse von überall her, alle springen aus dem Wagen aus Angst vor den Panzerfäusten und werfen sich auf den Boden. Geschrei, Granateneinschläge, Staubfontänen, kristallines Glitzern im Sonnenlicht, Staubwolken, darin Schatten. Plötzlich ein Gewehr in der Hand, der behelmte Kopf von Kessler, der schreit, ich hoffe, Sie können damit umgehen, wir können Sie nicht schützen, das müssen Sie jetzt selbst tun. Auch Behrendt, der Stabsarzt, ist bewaffnet, die Taliban schießen gezielt auf Ärzte. Und dann der Schatten in der Staubwolke, die Bewegung, jemand springt hinter einem Auto hervor, Behrendt schreit, stay where you are!, und schießt. Und ich auch, dachte Martens, ich habe auch geschossen, in die Staubwolke geschossen, ein einziges Mal. Ein Journalist und ein Arzt hatten auf eine Frau geschossen, und Behrendt dachte, dass er sie getötet hatte, und so war es wohl auch gewesen. Martens hatte nicht gezielt und wahrscheinlich in die Luft geschossen. Aber ich kann nicht völlig sicher sein, dass nicht doch ich es war, Miriam, dachte er und sagte, ich hoffe, das ist noch nicht Ihre ganze Geschichte. Denn über Bacha Posh ist schon viel geschrieben worden.
Sie heißt Malalai, sagte Miriam, und ist jetzt vierzehn Jahre alt. Ihr Vater hatte nur Töchter, vier, und als Malalai zwei Jahre alt war, steckte er sie in Bubenkleider, schnitt ihr die Haare und behandelte sie von nun an als seinen Sohn. Sie ging als Junge zur Schule, lernte lesen und schreiben, spielte mit den anderen Jungs, verhöhnte wie die anderen Jungs die Mädchen und durfte zu Hause ihre Schwestern schikanieren. Aber als sie dreizehn wurde, war das Leben als Junge für sie vorbei. Mit dreizehn müssen Bacha Posh wieder Mädchen werden und das heißt, dass sie in einer Gesellschaft wie der afghanischen alle Rechte verlieren und von einem Tag zum anderen ein Leben führen müssen, auf das sie nicht vorbereitet sind und das sie verachten, denn wer möchte schon eine Frau sein? Malalai wollte ein Junge bleiben, aber ihr Vater hatte sie einem Mann versprochen, der zwei Taxis besaß und einen guten Brautpreis bezahlte. Drei Monate vor ihrer Heirat haute sie ab. In ihren Männerkleidern und mit ein bisschen Geld, das sie ihrem Vater gestohlen hatte.
Martens goss Olivenöl auf seinen Teller, salzte es und tunkte das Brot hinein.
Sie schloss sich den Taliban an, sagte Miriam.
Jetzt begann die Geschichte Martens zu interessieren.
Woher wissen Sie das?, fragte er.
Von jemandem, dem ich versprechen musste, auf diese Frage nicht zu antworten.
Und wann ist das passiert?
Vor drei Monaten.
Und wo?
Malalai lebte in Feyzabad, sagte Miriam, in der Provinz Badakhshan.
Da war ich noch nie, sagte Martens, er goss Miriams Glas voll und seines, es gab nichts Besseres als knuspriges, in Olivenöl getauchtes Brot zusammen mit einem schweren Weißwein.
Ist sie Tadschikin?, fragte er, es war eine Fangfrage, um herauszufinden, ob Miriam sich auskannte. In der Provinz Badakhshan im äußersten Nordosten Afghanistans lebten hauptsächlich Tadschiken und nur wenige Paschtunen, und da die Taliban ihre Kämpfer fast ausschließlich unter den Paschtunen rekrutierten, war anzunehmen, dass die Bacha Posh keine Tadschikin war.
Sie ist Paschtunin, sagte Miriam, wie ich zur Hälfte auch. Ich spreche fließend Pashto und Dari. Möchten Sie Musik hören?
Nicht unbedingt, sagte er. Außer Sie haben Led Zeppelin, und das würde jetzt nicht passen.
Ich habe Led Zeppelin, die Remasters -CD. Aber es würde wirklich nicht passen.
Sie hören tatsächlich Led Zeppelin?, fragte er. Sie war doch bestimmt zehn Jahre jünger als er, knapp über fünfundvierzig schätzte er sie, es war selten, dass jemand aus dieser Generation sich für Led Zeppelin begeisterte.
Robert Plant ist einer meiner Lieblingssänger, sagte sie. Er und Pavarotti.
Ja, die beiden sind sich wirklich sehr ähnlich, sagte Martens, und das meine ich nicht ironisch. Pavarotti hätte nicht mit Freddy Mercury singen sollen, sondern mit Plant. Plant ist unter den Rockmusikern der Opernsänger, nicht Mercury, der war bloß ein Imitator. Auf die beiden!
Sie prosteten sich zu, die Gläser klirrten dumpf, es war kein Kristall.
Und sie hat sich also den Taliban angeschlossen, sagte Martens.
Ja, sagte sie, einer Gruppe unter dem Kommando von Dilawar
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