Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Etikett der Weinflasche, die zwischen den zwei Tellern stand, zu sich: Es war ein Riesling von Gaul. Sie kauft zu Pasta Weißen, dachte er, und auch noch einen sehr guten, der etwas kostet. Sie lebt in dieser schäbigen Wohnung und gibt Geld aus für Wein.
Das gefiel ihm.
Sie drehte sich am Herd um und sagte, ich hoffe, Sie mögen Weißwein. Ich habe auch noch einen Roten, wenn Sie den lieber möchten, aber dieser hier ist wirklich gut, auch zu Spaghetti.
Ja, ich kenne ihn, sagte er, und ich trinke nicht gern Rotwein.
Ich auch nicht, sagte sie und wandte sich wieder den Töpfen zu.
Jetzt zündete er die Kerze an.
Sie prosteten sich zu, und dann drehten sie die Spaghetti auf die Gabeln, zwischen ihnen flackerte die Kerzenflamme.
Und Ihr Sohn, fragte Martens, schläft er schon?
Ja, er schläft schon, sagte sie. Sie griff nach dem Weinglas und trank. Er heißt Sinan, sagte sie.
Die Spaghetti waren verkocht, aber die Carbonara schmeckte rauchig und herb, wie es sein musste.
Sinan, sagte er, ich glaube, das ist ein türkischer Name?
Ja.
Es schmeckt sehr gut, sagte er. Ihm war heiß in seinem Sakko. Er blickte an sich hinunter und sah eine Art Mäulchen, das entstand, weil sein Hemd sich zu sehr spannte.
Als er wieder hochschaute, begegneten sich ihre Blicke, und im nächsten Moment stand der Kleine in der Küche. Er trug einen roten Pyjama und sagte, Mama, darf ich jetzt wiederkommen?
Miriam stand vom Stuhl auf.
Nein, du gehst zurück ins Bett, sagte sie.
Du musst mich bringen!
Gut, ich bringe dich, sagte sie.
Eine Weile war Martens allein. Er fühlte sich plötzlich unbehaglich, was wollte Miriam von ihm? Und was wollte er von ihr? Er goss sich und Miriam Wein nach und trank und füllte sein Glas erneut.
Miriam kam zurück, sie sagte, entschuldigen Sie, er kann nicht schlafen, er wollte, dass ich ihm noch eine Geschichte vorlese. Kennen Sie das?
Ich kannte es mal, sagte er, aber es ist schon lange her. Meine Tochter ist schon fünfundzwanzig, sie heißt Nives.
Es kann sein, dass er noch mal kommt, sagte Miriam, sie legte das Besteck auf ihren Teller, der noch voll war. Sie blickte in den Flur. Wir essen sonst immer zusammen, sagte sie, auch wenn Gäste da sind. Er ist es nicht gewohnt, um diese Zeit allein zu sein. Aber heute wollte ich ihn nicht dabeihaben. Ich würde nämlich gern etwas mit Ihnen besprechen. Etwas, das Sie als Journalist vielleicht interessieren könnte.
Was denn?, fragte Martens, sein Glas war schon wieder leer. Und darf ich hier rauchen? Zum Fenster raus?
Sie erlaubte es ihm, wollte das Fenster aber selbst öffnen, und sie bat ihn, den Rauch um die Ecke zu blasen. Sie trank ihr Glas leer, in drei Zügen, füllte es zur Hälfte wieder und lehnte sich an die Spüle, während er um die Ecke rauchte.
Mir geht’s im Augenblick finanziell nicht gut, sagte sie. Sie erklärte ihm, sie sei Grafikerin, habe aber ihren Job verloren, nachdem ein neuer Chef die Leitung übernommen habe. Früher habe sie als Fotografin gearbeitet, in London, wo sie drei Jahre gelebt habe. Aber zur deutschen Presse habe sie keine Kontakte.
Sie trank schnell, öffnete eine neue Flasche. Sie saßen wieder am Tisch, die Kerze rußte. Miriam schloss die Küchentür und sprach leise. Sie war nervös, ihre Bewegungen fahrig, sie blickte Martens kaum noch an.
Mein Vater war Afghane, sagte sie. Nicht Italiener, sie versuchte ein Lächeln. Sie dachten doch, ich sei Italienerin.
Ja, das dachte ich, sagte er. Sie war sehr schön im Kerzenlicht, ein schmales, weiches Gesicht mit sanften Schatten, die langen Wimpern, die klugen und eleganten Finger, die das Glas umfassten.
Kürzlich hat mir jemand eine Geschichte erzählt, sagte sie, jemand, der in Afghanistan lebt. Es geht um eine Bacha Posh. So nennt man in Afghanistan Mädchen, die als Jungs aufwachsen.
Ich weiß, sagte Martens. Er brach ein Stück Brot ab und tunkte es in die noch nicht ganz eingetrocknete Carbonara-Sauce.
Sie haben davon gehört? Miriam blickte ihn über den Rand ihres Glases an.
Ich fürchte, ich habe eine Bacha Posh zum Rauchen verleitet, sagte er. Ich war in Afghanistan, um über die Hundekämpfe in Kabul zu schreiben. Ein Tadschike, der Hunde abrichtete, lud mich ein, ihn nach Kunduz zu begleiten, wo seine Familie lebt. Dort lernte ich die Bacha Posh kennen, sie arbeitete im Teehaus ihres Vaters. Sie verlangte für eine Kanne Tee zwanzig Dollar und eine Schachtel Zigaretten. Sie war erst acht oder neun Jahre alt und sagte, es sei ihre
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