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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Reportage im Editorial anreißen werden. Und dafür brauchen sie ein Foto. Ein Editiorialfoto eben. Der Autor, unterwegs zum Gespräch mit dem afghanischen Mädchen, flüsterte er ihr ins Ohr, das als Junge mit den Taliban kämpft. Mach ein Foto von mir hier drin. Stört es Sie, wenn wir hier ein Foto machen?, fragte er die Soldaten. Nicht von Ihnen, von mir. Sie werden darauf nicht zu erkennen sein.
    Die Soldaten schüttelten die Köpfe, zuckten die Achseln.
    Wir werden gleich da sein, sagte er zu Miriam. Also mach doch jetzt bitte das Foto.
    Ich mache es später, sagte sie.
    Warum denn später?
    Weil ich es später mache!, sagte sie.
    Sie wich seinem Blick aus, mit engen Schultern saß sie auf ihrem Sitz, er konnte spüren, dass sie sich an einen anderen Ort wünschte.
    Ist schon in Ordnung, sagte er, du hast recht, wir können das auch später machen.
    Dass sie keine Kamera dabeihatte, beflügelte ihn. Das Leben gab sich gerade alle Mühe, so zu sein, wie er es mochte: unvorhersehbar und rätselhaft. Für dieses Gefühl der Teilnahme an etwas völlig Neuem war er bereit, sämtliche Bedenken bei fahrendem Schiff über Bord zu werfen. Ganz egal, was hier geschah, es war etwas Besonderes, und er würde entweder mit einer Reportage über die Bacha Posh nach Deutschland zurückkehren oder mit einer über Miriam, es war alles völlig offen.
    Miriam sagte, ich brauche ein Kopftuch, und er sagte, ich werde dir eins besorgen.
    Sie nahm seine Hand und zog sie zu sich, so, dass es den ihnen gegenübersitzenden Soldaten durch die Reisetasche verborgen blieb. Im Schutz der Tasche drückte sie seine Hand, und er dachte, sie weiß, dass ich es weiß. Er erwiderte die Berührung ihrer Hand, sie verschränkten die Finger ineinander und bestätigten es durch sanften gegenseitigen Druck. Er war sehr neugierig, was in den nächsten Stunden passieren würde. Es war eine warme, nährende Neugier, er fühlte sich im Leben geborgen.
    Statsu noom za dai
    Tremmel ließ sie vor der Schule aussteigen. Das Gebäude unterschied sich nicht von den anderen Häusern der Straße, es war ein von hohen Lehmmauern umfriedetes, ganz nach innen gerichtetes Gehöft mit einer zerbeulten, holzumrandeten zweiflügligen Blechtür. Ein brauner, knochiger Hund bellte sie an, aber ohne Eifer. Tremmel postierte zwei Soldaten, die die Straße überwachen sollten. Er bat Martens, sich in dreißig Minuten wieder hier bei den Fahrzeugen einzufinden.
    Sie brauchen aber nicht auf uns zu warten, sagte Martens, holen Sie uns doch einfach in einer halben Stunde wieder ab.
    Ich habe Befehl, hier auf Sie zu warten, sagte Tremmel.
    Das war ein Problem, denn sie mussten ja zum Teehaus, dem Treffpunkt, an dem Chargul auf sie wartete. Wenn Tremmel aber hier vor der Tür wachte, konnten sie das nicht unbemerkt tun.
    Es ist wirklich nicht nötig, dass Sie auf uns warten, sagte Martens.
    Miriam klopfte an die Blechtür, er verstand nicht, was sie vorhatte. Ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das einen schwarzen Tschador trug, öffnete die Tür einen Spalt. Miriam sprach mit ihr, und sie ließ sie hinein.
    Sie betraten den Innenhof, das Mädchen drückte die Tür wieder zu und sicherte sie mit einem Vorhängeschloss.
    Und wie kommen wir jetzt zum Teehaus?, fragte Martens.
    Wir klettern über die Mauer, sagte Miriam.
    Auf dem Hof saßen Mädchen unterschiedlichen Alters auf dem Boden. Eine Lehrerin schrieb etwas auf eine Tafel, die auf einer selbst gezimmerten Staffelei stand. Einige der Mädchen hatten Schulhefte auf den Knien, andere nicht. Es mangelte wahrscheinlich an Schulmaterial, an Bleistiften, Radiergummis, an Heften, Kreide, an allem. Die Lehrerin, eine ältere Frau mit einem schönen, lebendigen Gesicht, hielt inne und schaute zu ihnen hinüber. Miriam hob die Hand zum Gruß, und sie gingen durch die Reihen der Mädchen zu der Lehrerin. Miriam sprach mit ihr, die Mädchen betrachteten Martens’ blondes Haar. Wenn er sie anblickte, wandten sie sich ab, steckten die Köpfe zusammen, kicherten. Er hatte großen Respekt vor diesen Mädchen. In Afghanistan lesen und schreiben zu lernen war ein Bekenntnis, und diese tapferen Mädchen wussten, welches Risiko sie auf sich nahmen, sie konnten stolz auf sich sein. Viele von ihnen waren gegen den Willen ihrer Väter hier, nicht wenige bezahlten jedes Wort, das sie zu schreiben lernten, mit einer Ohrfeige. Und in den Bergen, ganz in der Nähe, rüsteten sich ihre Feinde für die Rückkehr, um die Wandtafel zu zerbrechen.
    Die

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