Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
Vom Netzwerk:
Barozai.
    Sie kennt sich sogar sehr gut aus!, dachte Martens.
    Dilawar Barozai, fragte er, der Barozai? Der die beiden englischen Journalisten getötet hat?
    Ja, der.
    Und dieses Mädchen kämpft unter seinem Kommando? Unter dem Kommando von Dilawar Barozai?
    Ja.
    Und natürlich wissen die nicht, dass sie ein Mädchen ist.
    Nein.
    Wenn sie es herausfinden, töten sie sie.
    Ja.
    Martens überlegte: Für ein Mädchen war es in Afghanistan einfach, sich als Junge auszugeben, gerade wegen der grotesken Entfremdung zwischen Männern und Frauen. Sie brauchte bloß die Tunban, die Puderhose und die Pakol als Mütze zu tragen, schon wurde sie von allen als Mann angesehen. Das Mädchen konnte sich sogar die Haare wachsen lassen und sich die Augen mit Kajal schminken, denn viele paschtunische Männer taten das auch, um anderen Männern zu gefallen. Sex unter Männern wurde stillschweigend toleriert und der Liebe zu Frauen sogar vorgezogen, da Frauen als unrein galten, es war redlicher, sich mit einem Mann einzulassen, man durfte nur nicht darüber sprechen. Das Mädchen fiel also, solange niemand sie nackt sah, unter den Männern von Barozais Truppe gar nicht auf.
    Das ist eine gute Geschichte, sagte Martens, ein Mädchen, das als Junge aufgewachsen ist, flieht zu den Taliban, weil der Vater es verheiraten will. Sie aber will als Junge weiterleben. Das Problem ist nur, dass man die Geschichte nicht recherchieren kann. Man kommt an das Mädchen ja nicht heran. Wenn ich morgen zu einer Zeitung gehe und ihnen die Story erzähle, werden sie sagen: toll, nehmen wir sofort, aber nur mit Interview und Fotos.
    Sie verlangt für das Interview zehntausend Dollar, sagte Miriam. Ihr Glas war wieder leer. Miriam lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen. Sie hat Angst, dass es eines Tages einer merkt. Sie will nach Pakistan und von dort weiter nach Deutschland. Sie möchte in einem Land leben, in dem es ihr als Mädchen so gut geht wie als Junge. Für zehntausend Dollar will sie sich mit mir treffen und mir ihre Geschichte erzählen und sich fotografieren lassen. Sie können also morgen zu einer Zeitung gehen und denen ein Interview und Fotos anbieten.
    Sie machen die Fotos, und ich schreibe den Text. Haben Sie sich das so vorgestellt?
    Ja.
    Die Geschichte interessiert mich, sagte er, aber ich frage mich, warum Sie Kontakt zu einem Mädchen haben, das als Talibankämpferin in den Bergen von Badakhshan herumzieht. Waren Sie kürzlich in Afghanistan?
    Nein.
    Aber Ihr Informant ist Afghane? Ist es einer Ihrer Verwandten?
    Es ist Robert Plant, sagte sie.
    Ach so, sagte er. Dann ist ja alles in Ordnung.
    Meine Bitte wäre, sagte sie, dass Sie versuchen, eine Zeitung zu finden, die diese Geschichte druckt. Und die sie finanziert. Die Reise, mein Honorar und die zehntausend Dollar. Ich wäre mit zweitausend Euro Honorar einverstanden.
    Was für eine merkwürdige, schöne Frau, dachte er. Er war ein wenig betrunken und verliebte sich in Miriams Gesicht hinter der Kerze.
    Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen, sagte er.
    Ich brauche das Geld dringend, sagte sie und stand auf. Sie öffnete die Küchentür, sie sagte, setzen wir uns doch ins Wohnzimmer. Aber seien Sie bitte leise, wegen Sinan.
    Ich wollte aber singen!, sagte er.
    Möchten Sie Salami?, fragte sie. Und noch Wein?
    The Song remains the same
    Sie saßen im Wohnzimmer auf dem selbst gebastelten Sofa, das bei jeder Bewegung knarrte. Martens balancierte auf den Knien den Teller mit den dick geschnittenen Scheiben der ungarischen Salami.
    Ich kenne niemanden außer mir, der ungarische Salami liebt, sagte er.
    Jetzt kennen Sie mich, sagte Miriam, die sich selbst eine Scheibe aufs Weißbrot legte.
    Die S-Bahn fuhr draußen vorbei, und die Kerze, die auf dem Tischchen stand, zitterte und verlor Wachs. In den Weingläsern breiteten sich konzentrische Wellen aus, die Wände des Wohnzimmers rückten näher: Je länger man sich darin befand, desto kleiner wurde das Zimmer.
    Led Zeppelin?, fragte Miriam.
    Jederzeit, sagte er.
    Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn Sie Kopfhörer tragen müssen, aber Sinan schläft in meinem Zimmer. Sie deutete auf ihre Schlafzimmertür.
    Aber ich möchte mir das nicht allein anhören, sagte er.
    Das brauchen Sie auch nicht, ich habe zwei.
    Sie setzten sich beide die Kopfhörer auf, und Miriam legte die Remasters-CD ein. Sie hörten sich The Song remains the same an und aßen ungarische Salami, die beste der Welt, fand Martens, kein Schnickschnack mit

Weitere Kostenlose Bücher