Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Trüffeln oder Wildschweinfleisch, einfach nur gewöhnliche Salami, Fleisch, Fett, Fett, Fleisch. Ein man ein wip, ein wip ein man, tristan isolt, isolt tristan, dachte er und schaute Miriam an, die mit geschlossenen Augen dem Lied lauschte, kauend. Sie holte sich mit der Zunge einen Brotkrümel zurück, der sich in ihren Mundwinkel verirrt hatte.
Es war sehr gemütlich und verheißungsvoll. Mit einer Frau Musik hören und Salami essen, und später sich über das Kind beugen, das im Nebenzimmer schlief. Es war gar nicht so wichtig, miteinander zu schlafen, wichtig war, die Dinge gemeinsam zu tun. Sich zu zweit um die Altersvorsorge kümmern, sich gemeinsam Ratschläge vom Steuerberater einholen und sich ein Zukunftsziel setzen: eine Reise in die Antarktis auf einem Kreuzfahrtschiff, dick eingepackt in Daunenjacken und in der Obhut eines fähigen Bordarztes. Die Anschaffung eines kleinen Wohnwagens, um die Winter fortan in Südfrankreich zu verbringen, besser Südspanien, Wärme tat den Gelenken gut und machte den Gedanken an den Tod erträglicher. Sich zur Ruhe setzen, ein Rosenbeet bepflanzen, den Wagen alle zwei Jahre zum TÜV bringen und sich drei Bequemhosen mit Stretchbund kaufen, alle Eitelkeit fahren lassen und ein so gewöhnliches Leben führen, dass die Erinnerungen an das Schreckliche, Ungewöhnliche, das man einst erlebt hatte, mit der Zeit unwirklich wurden.
Martens setzte den Kopfhörer ab. Er berührte Miriam am Arm. Sie öffnete die Augen, nahm den Kopfhörer gleichfalls ab. Haben Sie darüber nachgedacht?, fragte sie.
Ich werde morgen ein paar Anrufe machen, sagte er. Es ist eine gute Story, sie wäre was für den Wochenspiegel. Die arbeiten zwar normalerweise nur mit eigenen Fotografen, aber es ist Ihre Story. Also werden sie wohl oder übel einverstanden sein, dass Sie die Fotos machen. Die haben da auch einen sehr guten Reporter, Stefan Kinz, ein Tiroler. Sie werden dann also in Afghanistan drei Wochen lang mit einem rollenden R leben müssen. Aber er schreibt sehr emotional, er ist der Richtige für diesen Text.
Sie kommen nicht mit?, fragte sie. Sah er da in ihrem Blick Erleichterung?
Nein. Ich würde sehr gern nach Afghanistan fahren, aber im Augenblick wäre das nicht gut für mich.
Er trank einen Schluck. Wenn sie fragt warum, dachte er, erzähle ich es ihr. Ich erzähle ihr von der Frau in Quatliam.
Sie fragte ihn, aber er erzählte es ihr nicht, stattdessen sagte er, es klingt vielleicht merkwürdig, aber ich muss lernen, sesshaft zu werden. Ein gewöhnliches Leben zu führen. In den letzten zwanzig Jahren war ich fast immer unterwegs. Ruanda, Irak, Bosnien, Kolumbien. Zuletzt dreimal in Afghanistan. Ich war überall, wo keiner hingeht, der nicht muss, außer mir und ein paar anderen Journalisten. Wir waren freiwillig dort, uns hat niemand gezwungen. Wir waren nicht beruflich dort, das kann mir keiner erzählen, wir hätten auch über die Einweihung eines neuen Pflegeheims in Osnabrück schreiben können oder über Fluglärm. Um auch den wieder einmal zu erwähnen, dachte er. Wir waren dort, sagte er, weil wir es wollten. Weil wir zu Hause in der Fußgängerzone Beklemmungen kriegten, und wir spazierten sonntags nicht gerne mit unseren Frauen und den Kindern um den See. Was weiß ich, warum wir dort waren. Warum erzählst du ihr das, dachte er, sein Glas war leer, er schnippte mit den Nägeln dagegen. Das ist die unhöfliche Art, nach mehr Wein zu fragen, sagte er.
In Berlin gibt es keine Fußgängerzone, sagte sie nur. Sie stand auf und verschwand im dunklen Flur. Er hörte das Geräusch von Flaschen. Sie hat viel Wein im Haus, dachte er, und ich erzähle zu viel.
Sie brachte den Wein und setzte sich wieder neben ihn.
Es tut mir leid, sagte er, ich hätte nicht damit anfangen sollen. Ich wollte damit auch nur sagen, dass es für mich im Augenblick besser ist, in Berlin zu bleiben und meine Steuererklärung auszufüllen. Und dann muss ich zum Zahnarzt gehen, ich muss endlich diese Plombe ersetzen lassen. Ich muss das alles jetzt endlich erledigen. Mein Wagen braucht eine neue Drosselklappe, und die Toilettenspülung in meiner neuen Wohnung ist defekt.
Und dann, Miriam, ist da noch etwas, dachte er, ich bin als Schreiber nicht mehr so gefragt wie früher. Andererseits mit einer solchen Story, dachte er – soll ich es nicht doch machen? Diese Story können sie nicht ablehnen … Er war hin- und hergerissen, plötzlich bereit, alles wieder zurückzunehmen, was er soeben über das
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