Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
gekämpft, keinen Feind getötet, nicht einmal einen gesehen. Sie gingen zum Fluss und setzten sich hin, zogen ihre Schuhe aus, die Gewehre hatten sie ungeordnet im Gehöft liegen lassen, nicht aus Nachlässigkeit, sondern um Dilawar zu zeigen, dass sie keinen Sinn mehr darin sahen, ein Gewehr zu tragen, wozu, wenn das Gewehr nur eine Last war und seinem Träger keine Ehre einbrachte?
Adidas
Dilawar und Omar einigten sich darauf, in den Schüsseln zu kochen, aber nicht auf den Öfen, sondern auf freiem Feuer am Fluss. Ehsanullah und Khyber brachen Holz aus den Bäumen, und Yousef verbrannte es zu Glut unter den Schüsseln, die auf großen Steinen über der Hitze ruhten. Als die Schüsseln heiß genug waren, schüttete er Reis hinein und röstete ihn, bevor er ihn mit Wasser aufgoss. Martens trank aus dem Fluss, das Wasser schmeckte nach Stein. Es war ein stiller Fluss, sein Wasser zog ohne Laut vorbei, bei günstigem Wind hörte man das Korcheln der Lastwagen. Das Gehöft lag ideal, nahe der Straße, aber von ihr aus nicht zu sehen. Und es musste etwas geschehen, die Männer brauchten nach wochenlanger Untätigkeit einen Erfolg.
Sie aßen in der Abenddämmerung, der Reis schmeckte durch das Anrösten gehaltvoller, so als sei Fleisch drin. Es gab dazu Pistazien und hart gekochte Eier. Martens aß kein Ei, denn er konnte sich nicht erinnern, wann und wo sie Eier gekauft, gestohlen oder geschenkt bekommen hatten. Außerdem hatte Ehsanullah die in einer Blechschüssel liegenden Eier alle betastet, weil er offenbar besondere Vorlieben hatte. Die anderen hatten nichts unternommen und ihm nur amüsiert zugeschaut. Zwei Stunden zuvor hatte er aber den verwesten Kadaver in ebendiesen Fingern gehalten, die er bestimmt seither nicht gewaschen hatte, so gut kannte Martens ihn inzwischen.
Nach dem Essen zogen sie das Feuer wieder hoch, indem sie neues Holz auf die Glut legten. Sie brauchten Licht, um eine Straßenbombe zu bauen. Omar hatte aus dem Gehöft eine Sporttasche geholt, auf der Adidas stand, der Name weckte in Martens Heimweh. Adidas klang so gut wie Roomservice. Er war sein Leben lang in unbequemen Weltgegenden unterwegs gewesen, aber noch nie hatte sich die Freiwilligkeit so sehr in ihr Gegenteil verkehrt wie jetzt, noch nie war er so entfernt gewesen von einer Hotelbar. Die Hotelbar, in die man sich zurückzieht, am Tresen andere Journalisten, die mit denselben Erlebnissen nicht fertigwerden wie man selbst. Du trinkst mit ihnen, was das Land an alkoholischen Getränken bietet, du hörst draußen vor dem Hotel die Schüsse. Morgen gehst du wieder raus, schaust zu, wie sie einander töten, aber du weißt, an der Hotelbar triffst du abends Menschen, die wissen, wovon du sprichst und warum du mit ihnen reden willst, sie wollen es auch. Überall hatte es eine Hotelbar gegeben, in Liberia, in Ruanda, Kolumbien. Selbst aus der West-Sahara hatte es einen Weg in die nächste Hotelbar gegeben. Ohne die Aussicht auf eine Hotelbar war man wie sie, wie die, über die man berichtete. Die Schlägertrupps, die Milizen, die Folterknechte, die Banden, die mordend herumzogen: Von ihnen unterschied man sich dadurch, dass man abends an der Hotelbar über sie redete. Die Hotelbar war die Grenzlinie zwischen denen, die jederzeit nach Hause zurückkehren konnten, und jenen, die aus dem, was geschah, nicht herauskamen. Früher war Martens dabei gewesen, aber er war immer rausgekommen. Die anderen nicht, aber er schon. Aber jetzt, zum ersten Mal, war das anders.
Omar breitete über den Steinen am Flussufer ein Tuch aus und legte die Zutaten für die Bombe darauf. Im Schein des Feuers begannen sie zu basteln, Mirwais schien sich am besten damit auszukennen. Dilawar stand dabei und rauchte. Mirwais machte eine Handbewegung, rauch woanders oder willst du, dass wir in die Luft fliegen? Der Wind spie Funken vom Feuer über das Tuch mit dem Sprengstoff, Dilawar hätte genauso gut weiterrauchen können, aber er schnippte die Zigarette weg. Das Funkengestöber wurde Omar zu gefährlich, er zog das Tuch auf die windabgewandte Seite des Feuers. Sie hatten offensichtlich einen Zeitplan, wollten die Bombe unbedingt heute noch fertigstellen, sonst wären sie nicht das Risiko eingegangen, sie im Schein eines Feuers zu basteln. Hätten sie sie aber nicht schon heute Nachmittag bei Tageslicht bauen können? Das hatten sie wahrscheinlich vorgehabt, waren dann aber aufgehalten worden durch ihren langwierigen Streit, ob es halal war, Reis in einem Innenhof
Weitere Kostenlose Bücher