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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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war zwei Monate lang Gefan gener der Taliban und brauche ein Dutzend Shampoofläschchen. Er wollte in ein mit Shampoo und Gel eingedicktes Badewasser gleiten und bis zum Kinn darin versinken. Aber nicht ohne Weißwein, der steht schon da, dachte Martens, in einem Eiskübel neben der Wanne, der Roomservice hat ihn mir gebracht. Roomservice, Housekeeping, märchenhafte Wörter, Abrakadabra, schon hast du alles, was du dir wünschst. Von ihm aus konnten sie in Köln die Scharia einführen, wenn sie nur das Housekeeping und den Roomservice nicht abschafften. Und Betten. Diese Straße führte in ein Bett und auf eine Matratze. Seit Wochen schlief Martens auf dem Boden, sein Rücken kannte jeden Stein Badakhshans, jetzt wollte er auf eine Matratze. Auf eine dicke, weiche Matratze, die ihn vor der Berührung mit dem Boden bewahrte, sie trug ihn federnd, man konnte ohne Schmerzen darauf schlafen, Matratzen waren eine geniale Erfindung.
    Die Straße war zwar asphaltiert, aber der Fluss hatte beim letzten Hochwasser große Stücke aus ihr herausgebissen, der Asphaltbelag ragte an manchen Stellen ins Nichts, darunter war Luft. Ein Lastwagen, ein schlotterndes, blechernes Vehikel, ein Kamaz aus russischer Produktion, fuhr im Schritttempo auf der unversehrten Seite der Straße entlang der Felswand an ihnen vorbei. Der Lastwagen machte die Esel störrisch, sie hatten noch nie einen gesehen und wollten keinen Schritt mehr tun, bevor ihnen nicht klar war, worum es sich handelte. Mittlerweile waren sie mit drei Eseln unterwegs, der eine stammte aus dem Dorf der Steinigung, die beiden anderen waren ihnen geschenkt worden in den zwei Dörfern, in denen sie danach zu Gast gewesen waren. Yousef, der für die Esel verantwortlich war, unternahm nichts. Alle warteten am Straßenrand darauf, dass die Esel sich an die Lastwagen gewöhnten. Fünf, sechs Lastwagen fuhren vorbei. Den nächsten hielt Omar auf, indem er sich auf die Straße stellte und die Hand hob. Der Fahrer streckte den Kopf aus dem Fenster, in der Angst zuckte ihm ein Augenlid. Omar sprach mit ihm, und der Fahrer stieg aus und schlug beflissen das Verdeck der Ladefläche hoch. Er drückte sich die Finger auf das zuckende Lid. Omar warf einen Blick auf die Ladung, es waren Säcke. Der Fahrer wuchtete zwei der Säcke aus dem Wagen und legte sie an den Straßenrand. Omar schüttelte den Kopf, und der Fahrer legte noch zwei Säcke dazu. Nun entließ Omar ihn, und er stieg wieder in seinen Wagen und fuhr mit aufheulendem Motor weiter, er konnte nicht schnell genug von hier wegkommen. Ehsanullah band die geschenkten Säcke auf einen der Esel, dem zwei lieber gewesen wären als vier.
    Die Esel setzten sich wieder in Bewegung, von den Lastwagen ging keine Gefahr aus, das war ihnen jetzt klar geworden.
    Wohin führt die Straße?, fragte Martens Pason.
    Ich weiß nicht, sagte Pason.
    Und wenn du es wüsstest, würdest du es mir sagen?
    Ich weiß nicht.
    Du weißt doch bestimmt, wo wir sind. Du kannst es mir sagen, sie verstehen es ja nicht. Ich werde nicht fliehen.
    Es war der falsche Ansatz, aber Martens hatte das Bedürfnis zu reden. Seit Wochen hatte er kein längeres Gespräch mehr geführt, jeder Versuch dazu scheiterte an Pason. Vor allem mit Omar hätte Martens gern gesprochen, bei Omar spürte er eine gewisse Bereitschaft dazu. Aber sehr oft, wenn er Omar eine Frage stellte, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, sagte Pason, this word I don’t understand oder it makes him angry, if I translate this. Wenn Pason aber geruhte, eine Frage von Martens an Omar weiterzuleiten, übersetzte Pason Omars Antwort in eine stenografische Meldung, he says yes oder he says no. Wenn Martens sich beschwerte – aber er hat doch viel mehr gesagt, übersetz mir bitte alles, was er gesagt hat! –, spielte Pason die Ahnungslose und sagte, this word I don’t understand. Anfangs hatte Martens ihr geglaubt, aber mittlerweile war er sicher, dass sie besser Englisch sprach, als sie zugab. Sie war eine widerborstige Übersetzerin und verweigerte sich ihm auch selbst als Gesprächspartnerin, er kam auch bei ihr nicht über ein paar Sätze hinaus. Jetzt, da diese Straße in ihm die Sehnsucht nach Hotelbetten und Gesprächen wachrief, nahm er es Pason übel, dass sie ihm keine Brücken zu den Männern baute und er heute Abend wieder schweigend an einem Feuer sitzen würde, während die anderen schwatzten und lachten.
    Tell Yousef, he’s an asshole.
    This word I don’t know.
    Sie ist schon in Ordnung,

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