Das Leuchten
wie ein Riesenbaby mit seinen flaumigen Haaren und den Pausbacken. Jeder der fünfundvierzig Staaten sandte zwei Vertreter in die Versammlung, die für ihr Land abstimmten. Unser kleines Gebiet hatte nur einen Abgeordneten, der nicht abstimmen durfte. Schlimmer noch, er war nicht einmal von uns aufgestellt worden. Die Versammlung hatte uns Benton Tupper zugeteilt und wir konnten nichts daran ändern. Es war aber immerhin besser, als gar niemanden zu haben, so wie es bei den Ozeanstädten der Fall war. Doch wenn man ehrlich war, hatten die anderen Staaten auch nicht viel zu sagen. Die Regierung ließ die Vertreter nur alle zwanzig Jahre wählen. Seitdem die Große Flut zur Staatskrise erklärt worden war, lebten wir unter Notstandsgesetzen, was bedeutete, dass gewisse Rechte außer Kraft gesetzt waren. Nach jeder abgesagten Wahl erklärten die Abgeordneten: »Man sollte seine Mannschaft nicht mitten im reißenden Strom wechseln.« Eine treffende Redewendung, in Anbetracht der Tatsache, dass inzwischen zwanzig Prozent des Kontinents unter Wasser lagen.
Tupper strich den Ärmel seiner blauen Amtstracht glatt und sagte: »Nun, was erwartet ihr denn? Ihr besitzt große Ländereien, folglich müsst ihr auch saftige Steuern zahlen.«
» Saftig ist nicht das richtige Wort!«, rief jemand, aber ich konnte nicht sehen, wer es war.
Ich legte einen Finger an die Lippen, hielt Gemma die Tür auf und wir huschten in den hinteren Teil des Raums.
»Anstatt euch zu beschweren, solltet ihr dem Staatenbund dankbar sein, dass ihr eure Steuern in Naturalabgaben entrichten dürft.«
»Wir würden aber lieber bar zahlen.«
Ich erkannte die entschlossene Stimme sofort. Mum stand links vom Podium. Dad witzelte immer darüber, dass sie wie eine Amazone aussah, aber nur, weil sie so groß war. Sie war Wissenschaftlerin, keine Kämpferin. Als sie das Wort ergriff, wirkte sie ernst, aber nicht zornig.
»Auf dem Markt würden wir für unsere Früchte den dreifachen Preis erhalten, den die Regierung für angemessen hält, und das wissen Sie genau.«
Neben ihr saß mein Vater. Er hatte die Füße von sich gestreckt und sah so aus wie immer, wenn ihn ein Problem beschäftigte. Gedankenverloren fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, sodass es wie die Stacheln eines Kugelfisches zu Berge stand. Doc Kunze, der gut zehn Jahre jünger war als Dad, hatte einen Gesichtsausdruck, der viel eher meinen Empfindungen entsprach. Er hatte seine langen Beine ebenfalls ausgestreckt und wirkte auf den ersten Blick entspannt. Aber er runzelte so grimmig die Stirn und seine Mundwinkel hingen so tief herab, dass sie in dem dunklen Gestrüpp seines Bartes verschwanden. Was noch verräterischer war: Der Doc massierte erst die eine vernarbte Hand, dann die andere, und das machte er nur, wenn er außer sich war.
»Naturalien oder bar«, sagte Raj Dirani höhnisch und stieß seine Seegraszigarre in Benton Tuppers Richtung, »der Staat lässt uns ausbluten.«
Neben mir trat Gemma nervös von einem Fuß auf den anderen. Ich glaube, Raj machte einen ganz schön verwegenen Eindruck auf sie mit seinem Taucheranzug, der halb offen stand und sein Brusthaar sehen ließ, das dichter war als das einer Robbe.
»Und was bekommen wir dafür?«, knurrte er. »Ein lausiges bisschen Nachschub, den man uns verbilligt anbietet, einen Ranger, der wasserscheu ist, und einen Arzt, der nicht einmal die Faust ballen kann. Nichts für ungut, Doc.«
Mit einem verlegenen Grinsen tippte der Doc an seine Hutkrempe und nickte in die Runde. Es stimmte nicht ganz. Der Doc konnte sehr wohl eine Faust machen, er konnte nur niemanden operieren. Aber was spielte das schon für eine Rolle? In unserem Gebiet gab es ohnehin kein richtiges Krankenhaus.
»Wir bekommen gar nichts verbilligt«, sagte Dad und erhob sich. »Zumindest nicht in letzter Zeit. Die Regierung hat uns seit Monaten kein Liquigen geschickt. Wir müssen jetzt schon auf die eisernen Reserven der Handelsstation zurückgreifen.« Er deutete auf den leeren Glastank in der Ecke, der sonst zum Nachfüllen diente. »Ich hoffe für Sie, die untere Station sinkt nicht, während Sie hier zu Besuch sind, Abgeordneter Tupper.«
»Das hoffe ich auch«, erwiderte der Mann seelenruhig.
Feuchtkalte Finger berührten meine Hand. »Das war ein Scherz, oder nicht?«, flüsterte Gemma. »Die Station kann doch nicht wirklich untergehen?« Ihr Gesicht war bleicher als eine Perle und fast ebenso durchsichtig.
In diesem Augenblick schwankte der Raum,
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