Das Leuchten
sie noch hinzu.
Die beiden Frauen schimpften empört vor sich hin und beeilten sich, auf ihre Jacht zurückzukommen.
Ich stieg die Leiter zum Promenadendeck hinauf, wo Gemma stand und feixte. »Das war lustig!«
Den Leuten am Geländer fielen fast die Augen aus dem Kopf, was mir überhaupt nicht behagte. Ich senkte den Kopf und machte mich auf den Weg zum Turm, der aus der Mitte des Oberdecks ragte.
»Was ist?«, rief Gemma mir hinterher. »Bekomme ich nicht wenigstens ein Dankeschön?«
Ich hatte keine Lust, mich durch die schwitzende Meute auf dem Markt zu drängen, also wartete ich auf Gemma und ging dann außen herum. Aber auch so kamen wir nur langsam voran, denn Gemma blieb überall stehen und staunte über die Berge von Fisch, die sich auf den Tischen türmten, und kniete neben den Trögen voller stachliger Hummer und Seescheiden nieder. Nachdem sie zum fünften Mal stehen geblieben war, begriff ich, dass es ihr gar nicht um die Lebensmittel ging, sondern um die Menschen. Sie suchte nach ihrem Bruder.
»Du vergeudest deine Zeit«, sagte ich zu ihr. »Schürfer kaufen hier nicht ein. Das ist der teuerste Fischmarkt der Welt.«
»Tatsächlich?« Sie blickte sich neugierig um. »Weshalb?«
»Die Fische hier wurden auf offener See gefangen, das heißt, sie sind nie durch die Ruinen der überfluteten Städte geschwommen.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein Grüppchen von Käufern auf mich zeigte. »Können wir jetzt nach unten gehen?«
Ich dachte, ich hätte ganz ruhig gefragt, aber Gemma fuhr herum und starrte mich an, als wäre ich neben ihr zusammengebrochen. Jetzt bemerkte auch sie die Leute, die um uns herumstanden und gafften.
»Geht dir das immer so?«, wollte sie wissen.
»Nur, wenn ich an der Oberfläche bin.«
»Wie kommen wir nach unten?«
Ich deutete auf den Turm, der eigentlich nur ein Aufzugschacht war. Man musste sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnen, um dorthin zu gelangen, aber ich sah keine Lücke in dem Gedränge. Die Hitze, das starke Sonnenlicht und der Gestank nach toten Fischen setzten mir zu. Dann schlangen sich kühle Finger um meine und Gemma übernahm die Führung. Sie schob sich zwischen die Leiber, die dicht an dicht standen, rief hin und wieder »Entschuldigung!«, damit die Leute Platz machten, aber meistens schubste sie sie einfach mit dem Ellbogen beiseite.
Ich klammerte mich an ihre Hand wie an ein Rettungsseil, und als sie vor einer frei schwebenden Fußbrücke abrupt stehen blie b – einer der vielen Brücken, die sich über die riesige Öffnung in der Mitte des Oberdecks spannte n –, stieß ich mit ihr zusammen. Wie die Speichen eines Rades führten all die schmalen Stege zu der Plattform, die kreisförmig in der Mitte aufgehängt war.
»Die ist sicher«, sagte ich und betrat die Fußgängerbrücke aus Titangeflecht. Eine Etage tiefer hatten Boote am inneren Anlegering festgemacht. Gemma folgte mir, hielt sich aber am Geländer fest. Ich zeigte auf die Warte aus Milchglas über uns, die quietschend im Wind schwankte. »Das ist die Ranger-Station.«
Gemma runzelte ängstlich die Stirn, als sie das Wasser im Anlegeschacht unter sich brodeln und schäumen sah.
»Hast du Höhenangst?«, fragte ich und ging dabei rückwärts, um ihr ins Gesicht sehen zu können.
»Ich stürze nur nicht gern ab«, sagte sie gepresst und sprang an mir vorbei auf die Plattform des Turms.
Als sie den Rufknopf am Aufzug drückte, öffneten sich die Türen zu einer durchsichtigen Kabine mit einer Metallsäule in der Mitte. Gemma las die Schilder auf der Bedienungstafel: »Ausguck, Oberdeck, Unterkünfte, Service, Freizeitbereich, Zugangsdeck.«
»Na toll!«, schnaubte sie. »Das ist alles so klar wie versmogte Luft.«
»Ausguck und Oberdeck sind die einzigen Ebenen, die über Wasser liegen.« Ich drückte den Knopf zur Service-Etage.
Als der Fahrstuhl den Schacht hinabglitt, lehnte sich Gemma gegen die Wand aus Plexiglas und blickte zu den Menschen hinauf, die über die Fußgängerbrücken liefen. Der Aufzug wurde immer schneller, sauste am inneren Anlegering vorbei und tauchte unter Wasser. Gemma schnappte erschrocken nach Luft, aber ich entspannte mich. Vom Meer umgeben, war mir gleich bedeutend wohler zumute.
Geräuschlos stürzten wir durch das schimmernde Wasser. Dann bemerkte Gemma den Schlitz neben dem Schild für den Freizeitbereich . »Wozu ist der gut?«
»Wenn man dorthin will, muss man sich mit einer Karte als Erwachsener ausweisen.«
» Freizeitbereich
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