Das Leuchten
»Sie werden dorthin gehen, Doktor, wohin man sie schickt.« Dann reckte er den dritten Finger in die Höhe. »Drittens: Die Regierung stellt jegliche Unterstützung für weitere neue Siedlungen ein.«
»Nein!«, schrie ich, und es war mir egal, dass ich die Versammelten dadurch auf mich aufmerksam machte. Denn der Abgeordnete Tupper hatte soeben mit ein paar leicht dahingesagten Worten meine Zukunftspläne platzen lassen. Wenn ich nicht mein eigenes Land unter dem Meer bestellen konnte, was sollte ich dann tun? In eine der Schachteln über Wasser ziehen? Dann erginge es mir schlimmer als einem Fisch am Strand.
Dad kam auf mich zugeeilt. Er sah nicht sonderlich glücklich aus.
»Die Startprämie ist kein Gnadengeschenk«, protestierte Mum aufgebracht. »Die Investition macht sich dreifach bezahlt durch die Ernteerträge, andernfalls verliert der Siedler sein Land.«
»Die neuen Bestimmungen müssen ja nicht für immer gelten«, beschwichtigte Tupper sie aalglatt. Am liebsten hätte ich einen Stuhl nach ihm geworfen. »Da ihr das Land hier unten wie eure Westentasche kennt, werdet ihr die Seablite-Gang in null Komma nichts ausradiert haben. Und wenn ihr sie gefangen hab t – tot oder lebendi g –, wird der Staatenbund noch einmal über die Vorteile nachdenken, die es mit sich bringt, wenn er den Unterseeischen Gebieten dabei hilft, zu wachsen und zu gedeihen.«
»Wenn die Siedlungen bis dahin überleben«, sagte ich bitter, woraufhin Dad mich wie ein kleines Kind aus dem Saal schubste.
Gemma stand ein Stückchen weiter weg im Gang und betrachtete eine riesige Lederschildkröte, die draußen vorbeischwamm, aber Dad bemerkte sie gar nicht.
»Ty, dieses Treffen hier ist wichtig«, flüsterte er und schloss die Tür hinter uns.
»Das habe ich gehört.« Noch einmal über die Vorteile nachdenken und blablabl a – lauter falsche Versprechungen, mehr nicht. »Der Bund kann nicht einfach die Gesetze ändern und uns befehlen, Outlaws zu fangen.«
Dad gab mir ein Zeichen, dass ich leiser sprechen sollte. »Zerbrich dir darüber doch nicht den Kopf.«
»Du hast gut reden. Wenn die Territorien aufgegeben werden, ehe ich achtzehn bi n …«
»Hör zu, ich muss wieder reingehen.« Seine Stimme klang rau und um seinen Mund waren ein paar neue Fältchen zu erkennen. »Weshalb bist du hier? Ist etwas passiert?«
Ich zögerte. Wenn ich ihm sagte, dass die Gesetzlosen wahrscheinlich einen Schürfer umgebracht hatten, würde das den Druck, den der Abgeordnete auf die Siedler ausübte, nur noch weiter erhöhen.
»Nein, nein. Nichts von Bedeutung.« Ich würde es meinen Eltern und den anderen Siedlern später erzählen, wenn sich Tupper wieder zum Festland aufgemacht hatte.
Dad hatte die Hand schon auf die Türklinke gelegt, fragte dann aber stirnrunzelnd: »Du bist einfach so, ohne Grund, zur Handelsstation gekommen?«
Ich dachte rasch nach, dann sagte ich: »Gemma möchte sich unser Anwesen anschauen.«
»Gemma?« Jetzt erst bemerkte er sie. Dad zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Hallo.«
Ich konnte ihr nicht ins Gesicht sehen, aus Angst, sie würde sich über meine Worte totlachen.
Doch sie sagte nur »Hi« und kam, ohne zu zögern, auf uns zu. »Es tut mir leid, dass wir die Versammlung gestört haben.«
Verwirrt blickte Dad von mir zu ihr und wieder zurück. »Sind deine Eltern auf dem Markt?«, fragte er sie.
Ich entschied mich für die einfachste Erklärung. »Ihr Bruder lebt hier unten. Als Schürfer«, sagte ich daher. »Dürfen wir das große Boot nehmen? Nur kurz. Ich komme zurück und hole dich und Mum ab.« Ich zwang mich, nicht unruhig herumzuzappeln, als Dad mich nachdenklich musterte.
»Wir werden mit Pete fahren«, sagte er schließlich. »Geht ihr beiden nur und amüsiert euch.« Und dann fügte er hinzu: »Ich freue mich, dass du zu uns heruntergekommen bist, Gemma.«
Sie strahlte. »Wie nett von Ihnen.«
»Ty kann sich sonst mit niemandem wie dir unterhalten.«
»Sie meinen, mit einem Topsider?«
»Mit einem Teenager«, verbesserte Dad sie lächelnd.
5
»Bist du wirklich der Einzige in den ganzen Territorien?«, fragte Gemma.
Ich schlug das Ruder scharf ein und wendete das große Familienboot rasanter als nötig. »Der einzige Teenager schon, aber nicht das einzige Kind.« Ihre Frage gab mir das Gefühl, ein seltenes Ausstellungsstück zu sein. »Wir sind insgesamt zweiundzwanzig.«
Sie prustete los. »Wenn ich bei uns mit zweiundzwanzig Mädchen unter der Dusche stehe, dann ist das
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