Das Leuchten
vor meinem Vater auf. »Und jetzt die schlechte Nachricht, John.«
»Soweit ich sehen konnte, haben sie nicht viel mitgenommen. Nur Liquigen und Lebensmittel. Eure Felder werden sich schnell wieder erholen.«
»Und was ist mit den Tieren?«
Dad schüttelte den Kopf. »Alle weg. Aber wir haben noch viele übrig. Wenn jede Familie dreißig Fische an euch abtritt, habt ihr im nächsten Jahr einen ordentlichen Schwarm.«
»Und das Haus?«
»Wir brauchen nur vier Leute, um es wieder aufzublasen. Das machen wir noch heute Abend«, beruhigte Dad sie. »Dann kann es innen trocknen. Wenn wir es morgen gründlich reinigen, ist es wieder wie ne u – du wirst schon sehen.«
Sie nickte und kämpfte gegen die Tränen an. »Dann komm mit. Das Abendessen ist fertig.«
Als wir zur Treppe gingen, legte sich Dads Hand schwer und warm auf meine Schulter. »Du hast vorhin gehandelt wie ein Mann, Ty. Ich bin wirklich stolz auf dich.«
Wenn du wüsstest, dass ich einem gefährlichen Verbrecher allein bis ins offene Meer gefolgt bin, dachte ich mir im Stillen, wärst du sicher nicht so stolz.
In der ungewohnten und noch dazu fein herausgeputzten Gesellschaft kam mir das Abendessen wie ein Festmahl vor. Als Sharon Hewitt und die Mädchen mit ihrem Schmuck gesehen hatte, hatte sie darauf bestanden, dass jeder ein Stück aus meiner Sammlung anlegte.
»Wir leben alle noch und sind zusammen. Wir haben sogar einen Ehrengast«, sagte sie und schenkte Gemma ein Lächeln. »Heute Abend feiern wir.«
Und die Erwachsenen fügten sich ihrem Wunsch. Meine Mum entschied sich für eine Perlenkette, auf die sie, wie sie uns gestand, schon immer »ein Auge geworfen hatte«. Der Doc nahm sich ein Schwert mitsamt Scheide, und Dad hängte sich ein Medaillon um. Nur Lars, der Ärmste, verschlief das alles.
»Ich helfe dir nachher dabei, die Sachen wieder zu polieren und einzuordnen«, flüsterte Mum mir zu, während wir ins Esszimmer gingen und uns hinsetzten.
»Schon in Ordnung«, flüsterte ich zurück. Im Gegensatz zu den anderen trug ich keinen Schmuck. Solange die Seablite-Gang nicht hinter Schloss und Riegel saß, war mir nicht nach Feiern zumute.
Draußen wurde das Licht der großen Scheinwerfer immer schwächer, eine simulierte Abenddämmerung.
Der Doc rückte Gemma den Stuhl zurecht. »Und die junge Dame kehrt heute wieder aufs Festland zurück?«
»Nein. Ich werde eine Zeit lang in den Unterseeischen Gebieten bleiben.«
»Und wo wirst du wohnen?«, fragte Mum und stellte eine Platte mit dampfenden Hummern auf den Tisch.
»Bei niemandem«, entgegnete Gemma fröhlich. »Ich miete mir eine Koje in der Handelsstation.«
Alle erstarrten. Wenn ich geahnt hätte, dass Gemma so etwas vorhatte, dann hätte ich ihr diesen Plan ausgeredet.
»Im Bienenstock?«, fragte der Doc und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
Dad runzelte die Stirn. »Ich dachte, dein Bruder wohnt hier irgendwo.«
Gemma nickte und beantwortete damit beide Fragen auf einmal. »Ich habe ihn nur noch nicht gefunden.«
»Und was ist mit deinen Eltern?«, fragte Sharon.
»Die leben nicht mehr.«
Meine Mutter und Sharon wechselten mitleidsvolle Blicke.
»Und wer hat die ganze Zeit auf dich aufgepasst?«, fragte Mum behutsam.
»M s Spinner, die Leiterin des Internats. Aber als Richard mir Geld geschickt hat, damit ich zu ihm kommen und bei ihm wohnen kann, hat sie einen Wisch unterschrieben, dass ich gehen darf.« Gemma zeigte auf die Schüssel, die vor ihr stand. »Lässt dieser Fisch eure Haut so leuchte?«
»Nein«, antwortete ich. »Seeteufel leuchtet nicht von selbst.«
Gemma ließ enttäuscht die Schultern sinken.
»Möchtest du etwa auch einen Schein haben?«, fragte Hewitt ungläubig.
»Wer möchte das nicht?«
»Im Bienenstock vermieten sie keine Kojen an Leute unter achtzehn, nicht wahr, Theo?«, sagte Mum zum Doc, während sie ihm eine Schale mit knusprigem Tintenfisch reichte.
»Stimmt.« Der Doc lud sich den Teller voll. »Das ist gegen die Regeln der Handelsstation. Nur Schürfer und Bergarbeiter dürfen da übernachten.«
»Heißt das, dort treiben sich alle Schürfer herum?«, fragte Gemma interessiert.
»Wenn sie die Taschen voller Geld haben«, erwiderte Sharon und brach einen Hummer für Hewitt auf. »Sie verkaufen dort ihre Manganknollen. Und dann versaufen und verspielen sie das Geld.«
Mum legte ihre Hand auf Gemmas. »Du kannst bei uns bleiben, bis du deinen Bruder gefunden hast.«
»Das wäre schön. Vielen Dank.« Gemma sah mich an.
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