Das Leuchten
blutrot. »Sie konnten mit uns machen, was Sie wollten. Niemand hat sich eingemischt.«
»Halt den Mund!« Der Doc machte eine ungeduldige Geste und Raj schleuderte das Ende des Seils hoch. Es blieb an einem stählernen Querbalken unterhalb des zweiten Stegs hängen.
Ich sprintete die Eisentreppe hoch und rief: »Das könnt ihr nicht machen!«, obwohl mich der hartnäckige Schmerz in meinen Rippen daran erinnerte, wozu Shade fähig war.
Als Raj noch mehr Seil nachgab, kam auch die Schlinge in Sicht.
»Nein!«, schrie Gemma und stieg die Treppe hinauf bis zum ersten Steg.
Ich wartete bei der zweiten Treppe. Wenn Dad hier wäre, würde er diesem Treiben Einhalt gebieten. Aber er war nicht da, und es blieb keine Zeit, ihn aus der Kantine zu holen.
»Jibby!«, schrie Lars. »Schaff sie weg von hier!«
Mir stockte das Herz, als Gemma versuchte, Lars’ Finger vom Geländer zu lösen, um an ihm vorbeizukommen.
»Er ist mein Bruder«, schluchzte sie.
Sie standen fünf Meter über dem Saloon und rangen so verzweifelt miteinander, dass Gemma bei einer falschen Bewegung in die Tiefe stürzen würde.
Jibby klemmte unterdessen seinen Scheinwerfer an einen Strebebalken und sagte unsicher: »Vielleicht ist das alles ja doch keine so gute Ide e …«
»Hast du das blutüberströmte Boot schon vergessen?«, fuhr Lars ihn an.
»Das war sein Blut.« Ich ging auf die Männer zu. »Er hat niemanden umgebracht!«
Raj stand hinter Shade und wickelte das Seilende um die Stahlstrebe.
»Wir könnten die Ranger rufen«, sagte Jibby mit schwacher Stimme. »Sollen die sich um ihn kümmern.«
»Damit er wieder zurückkommen kann?« Die Knöchel des Docs wurden weiß, so fest klammerte er sich an das Geländer. »Ich hab dir doch gesagt, den kann keine Zelle halten, kein Gefängnis.«
»Nun übertreiben Sie mal nicht«, erwiderte Shade. »Aus Ihrem Schreckenskabinett abzuhauen, war keine Kunst.«
»Von hier wirst du jedenfalls nicht abhauen.« Raj warf Shade die Schlinge über den Kopf.
Gemmas angsterfüllter Schrei löste Jibby aus der Erstarrung. Er trat hinter sie und drehte ihr Gesicht zu sich. Noch ehe sie etwas sagen konnte, murmelte er: »Tut mir leid«, dann wuchtete er sie sich auf die Schulter, als wäre sie der Fang des Tages. Schnell stieg er die zweite Treppe hinauf, während Gemma auf seinem Rücken schrie und wild um sich schlug.
Ich stellte mich an das Fußende der Eisentreppe, für den Fall, dass sie ihm entglitt. Als Gemma sah, was sich unter ihr abspielte, verharrten ihre Fäuste in der Luft.
Kopfüber rief sie: »Ty, halte sie auf!« Sie stützte sich an Jibbys Schulter ab, dann streckte sie die Hand aus und warf mir etwas zu. Ich trat einen Schritt zurück. Ein Gegenstand fiel klappernd auf den Gitterrost. Es war ihr Jademesser.
Meine Beine waren wie Gummi, als ich das Messer aufhob. Wie sollte ich die Männer damit aufhalten? Und wollte ich das überhaupt? Wenn Shade nicht mehr da war, hatten die Unterseeischen Gebiete noch eine Chance. Mum und Dad könnten ihr Haus behalten. Alles, was ich jetzt tun musste, wa r … nichts.
Jibby verschwand mit Gemma im Aufzug. Die Türen schlossen sich hinter ihnen. Dann sah ich, wie Raj auf das Geländer kletterte. Mit einer Hand hielt er sich an einer senkrechten Strebe fest, mit der anderen langte er nach dem Seilende und zog es zu sich heran. Unter seinem Gewicht bog sich das dünne Metallstück, knickte an der Stelle ein, an der es mit dem Träger verschweißt war, und brach ab. Raj sprang gerade noch rechtzeitig auf den Steg zurück.
Obwohl er Lars’ Harpistole an der Schläfe spürte, schüttelte Shade den Kopf, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Das Betäubungsmittel, das sie auf ihn abgeschossen hatten, tat seine Wirkung. Aber sie würden ihn trotzdem aufhängen. Jetzt gleich würden sie ihn lynchen.
Raj trat gegen das andere Ende des Geländers. Nach drei kräftigen Tritten brach es ab und krachte in die Tiefe. Nur eine scharfkantige Ecke blieb davon übrig, sie ragte wie die Klinge einer Axt aus der Strebe.
Als ich losrennen wollte, packte mich der Doc am Arm. »Wir tun das nur zum Wohl der Allgemeinheit, Ty. Damit es hier weitergeht. Du willst doch deine eigene Farm haben, nicht wahr?«
Das wollte ich. Aber nicht mit allen Mitteln.
Raj stellte sich hinter Shade und holte mit dem Fuß aus. Mir wurde schlagartig klar, was er vorhatte. Er wollte Shade hinunterstoßen. Ich riss mich aus Docs Griff und sprang zwischen Shade und das Ende des
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