Das Leuchten
die gekommen waren, um Shade festzunehmen. Das waren alles Leute, die ich kannte.
Mit einem mächtigen Satz sprang Shade auf einen der Stützpfeiler. Stück für Stück kletterte er nach oben, Lars’ Pistole steckte in seinem Hosenbund. Als er den ersten Quersteg erreicht hatte, schwang er sich über das Geländer. Im Lichtkegel rannte er auf die zweite Treppe zu. Mit jedem Schritt wurde er bleicher, bis seine Haut wie Elfenbein schimmerte und seine Augen rot glühten.
»Aus dem Weg!«, knurrte er und stellte einen Fuß auf die unterste Stufe.
Jibby wich zurück, den Scheinwerfer fest umklammert.
»Du gehst nirgendwohin!«, schrie Raj und zielte mit seiner Harpistole auf ihn.
Der Strahl der Lampe fing Shade auf der Treppe ein, wo er ein perfektes Ziel abgab.
Gemma packte mich am Arm. »Du musst sie stoppen! Auf dich werden sie hören.«
Ich schüttelte ihre Hand ab. »Auch wenn er dein Bruder ist, ist er immer noch ein Verbrecher und gehört ins Gefängnis.«
Shade hatte die Treppe schon zur Hälfte erklommen, da rutschte er aus und krümmte sich, als hätte ihn ein Schuss in den Magen getroffen. Der Doc trat in den Lichtkegel, ein Betäubungsgewehr in der Hand. Shades Füße suchten verzweifelt nach einem Halt. Mit einer Hand hielt er sich an einer Stufe fest, mit der anderen tastete er nach der Pistole in seinem Hosenbund. Dabei schwankte er und verlor schließlich die Kraft. Ein Finger nach dem anderen glitt ab und er stürzte auf den nächsten Steg.
Gemma rannte quer durch den Saloon, bis sie unter der Stelle stand, an der Shade lag. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, aber sie schwieg, als sie zu ihm hochblickte.
»Mein Gott, Doc, Sie hatten Recht«, sagte Lars erstaunt. Er kam auf die Füße und stand jetzt in Gemmas Nähe. »Woher wussten Sie, dass sie uns zu Shade führen würde?«
Mir kam die Galle hoch. Der Doc hatte also längst gewusst, dass Shade und Richard Straid ein und dieselbe Person waren, und Gemma trotzdem in dem Glauben gelassen, dass ihr Bruder tot war.
Shade rollte auf die Seite. Seine Haut schimmerte in allen Farben, als würde sein Nervensystem verrücktspielen.
»Er tut es schon wieder«, sagte Raj und kam polternd die Treppe herunter.
Der Doc trat ganz dicht an Shade heran, der gerade versuchte, sich hinzuknien.
»Wie macht er das?« Jibbys Stimme war eine Oktave höher als sonst.
»Wie ich bereits sagte«, erwiderte der Doc und richtete die Waffe auf Shades Brust, »er ist nicht normal.«
Ich zuckte zusammen.
Shade lehnte sich zurück und zog eine dicke Nadel aus seiner Schulter. »Es überrascht mich, dass Sie wieder im Ozean sind, Doc, nachdem es beim letzten Mal ja nicht so gut für Sie gelaufen ist. Ihr schöner Ruf ist hin, nicht wahr?«
Der Doc schoss noch eine Nadel auf ihn ab. Sie glitzerte wie eine silberne Scherbe zwischen seinen Rippen, aber Shade lächelte nur. »Nehmen Sie mir die Sache mit Ihrer Hand immer noch übel? Immerhin habe ich sie Ihnen nicht abgehackt.«
Mir wurde schlecht, als ich mir vorstellte, wie Shade Docs Hand aufgeschlitzt hatte.
Raj versetzte Shade einen Tritt in den Magen, wodurch ihm die Nadel aus der Hand fiel. Sie rollte in eine Ritze. Gemma sprang zur Seite, als die Nadel mit einem Klirren auf dem Boden des Saloons aufkam.
Lars drängte sich an mir vorbei und rannte die Treppe hinauf, während Raj Shade die Hände auf den Rücken band und ihm die Pistole abnahm. Beide machten das gleiche Gesicht wie zuvor Grimes: In ihren Mienen spiegelten sich Angst und Hass. Die Dunkle Gabe machte Shade für sie zum Ungeheuer, und ich fragte mich unwillkürlich, ob ich in ihren Augen eines Tages auch ein Ungeheuer sein würde.
Als Lars den Steg betrat, stockte mir das Blut in den Adern. Ich blickte zu Gemma, aber sie hatte nur Augen für Shade. Sie sah das Seil nicht, das sich Lars um die Schulter geschlungen hatte. Und sie sah nicht, dass es in einer Schlinge endete.
27
»Wollen Sie mich zum Schweigen bringen, Doc?«, knurrte Shade. Als sie das hörte, kam Gemma unter dem Steg hervor, um zu sehen, was sich oben abspielte. »Haben Sie Angst, dass ich diesen Leuten hier erzähle, wie Sie Ihre Theorien an einem Haufen Kinder ausprobiert haben?«
»Das waren alles jugendliche Straftäter«, erwiderte der Doc und nickte Lars zu, der Raj daraufhin das Seil zuwarf.
Shade kam langsam auf die Knie, obwohl ihm die Hände auf den Rücken gefesselt waren. »Waisen, Schutzbefohlene des Staates.« Seine Haut begann zu flimmern, dann wurde sie
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