Das Lexikon der daemlichsten Erfindungen
und zugleich Dunkelhaft in einem engen Raum genommen werden. Das macht sie unruhig, schließlich soll ein Kampfstier wild und wütend wirken, und das lässt sich offenbar durch innere Verunsicherung gut simulieren. In Wirklichkeit ist es eher nackte Angst als blinde Wut, die über ihn kommt, wenn er schließlich in die Arena geführt wird. Doch halt, da fehlt noch was. Der Stier soll ja gegen den Menschen, speziell den Torero, kämpfen – oder besser gesagt der Torero gegen den Stier, denn dem ist nach Kampf meist gar nicht zumute. Und weil es beim Kampf zu unliebsamen Verletzungen kommen könnte, hat sich der vorausschauende Mensch in seiner Klugheit gedacht, dass man hier schon prophylaktisch handeln sollte. Er hat also dem Stier die Hornspitzen abgefeilt. Das hat zwei Vorteile: Erstens sind die Hörner dann nicht mehr so spitz, und zweitens liegen jetzt die Nervenenden im Horn dicht unter der Oberfläche, sodass es dem Stier gehörig Schmerzen bereitet, wenn er zustößt. Er lässt es also tunlichst bleiben.
Spätestens nachdem die Banderilleros den Stier schwer verletzt haben, ist dem nach Kämpfen so ganz und gar nicht mehr zumute. Also muss man ihn weiter reizen.
Aus völliger Dunkelheit kommt das Tier jetzt in die in gleißendem spanischen Sonnenlicht liegende Arena und wird dort, für ihn ungewohnt, von einer Menge grölender Menschen empfangen. Sein erster Gedanke ist, so schnell wie möglich zu fliehen. Das kann er aber nicht, weil ihm die Arena keinen Ausweg lässt und weil ihn eine Schar hinter hölzernen Palisaden verschanzter Picadores ständig anbrüllt oder sonst wie reizt.
In der Regel will das verängstigte Tier jetzt nur noch eines: in Ruhe gelassen werden. Ein Kerl geht auf ihn zu und wedelt dabei ständig mit einem riesigen Tuch. Das ist außen purpurrot und innen gelb, aber das erkennt der Stier nicht, denn er ist von Haus aus ziemlich farbenblind. Aber die Besucher der Corrida finden das toll. Sie glauben, die rote Farbe würde den Stier wütend machen. Der tut auch so, als würde das zutreffen, denn das Tuch stört ihn, und weil die Gefahr abschätzbar scheint – schließlich kommt ja nur ein Menschlein auf ihn zu –, versucht er, zumindest das Tuch zu verscheuchen. Das ist der Moment, wo der Stier unvermittelt einen heftigen Schmerz verspürt, und zwar überraschenderweise im Nackenbereich, in den ihn zwei feige von hinten kommende berittene Picadores hoch vom Pferd herab ihre Lanzen rammen (Picador kommt vom spanischen picar für stechen und pieken). Wieder ist das eine vom klugen Menschen sehr vorausschauende Handlung. Zum einen wird der Stier jetzt noch unruhiger und vielleicht auch zum ersten Mal wirklich wütend, denn der Schmerz lässt den Adrenalinpegel steigen. Zum anderen aber ist das Wichtigste bei dieser Lanzenstichelei, die kräftigen Nacken- und Schultermuskeln des Stiers zu verletzen. Das zwingt ihn, fortan seinen Kopf zu senken. Für den Zuschauer wirkt er dadurch aggressiver, für den Matador hat das den unbestreitbaren Vorteil, dass er später seinen Todesstoß ungehindert von oben zwischen die Schulterblätter setzen kann. Ohne diese Vorbereitung hätte er gegen den Stier kaum eine Chance, auch wenn dieser wie so oft vor dem Kampf mit Schlaftabletten in seiner potenziellen Kampfkraft weitgehend geschwächt worden ist.
Weil die Lanzenstiche der Picadores das Tier noch nicht genügend verletzt haben, um dem Torero überhaupt nur eine Siegeschance zu geben, treten jetzt als weitere Wegbereiter die Banderilleros auf den Plan. Ihre Aufgabe ist es, dem blutüberströmten Weidetier drei Paar lange Spieße in den vorderen Rücken zu rammen und sie dabei so zu platzieren, dass sie stecken bleiben und den kräftigen Muskelstrang zwischen den Schulterblättern lahmlegen. Währenddessen schreien die Banderilleros den Stier laut an, der dabei erstmals in seinem Leben den wahren Charakter der Bestie Mensch erkennt, denn während der Aufzucht ging man nur freundlich mit ihm um und vermied menschlichen Kontakt so weit wie möglich. Haben die Banderilleros ihre Spieße (Banderillas), die gleichsam um den Stier zu verhöhnen oben mit bunten Bändern verziert sind, abgesetzt, laufen sie ganz schnell weg und verstecken sich hinter den Holzpalisaden. Der Stier könnte sie schließlich angreifen. Manchmal versucht er das sogar. Aber es gibt auch nicht wenige Stiere, denen auch jetzt noch ganz und gar nicht nach Kampf zumute ist und die lieber resignieren und sich in ihr Geschick
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