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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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konnte. Man sah nicht hindurch, aber man sah hinein. Und das Bild veränderte sich mit jedem Schnitt durch Muskeln, Adern und Knochen.
    Ians Ohren schmerzten, seine Nase blutete und die Angst war so lähmend, dass er nicht mehr klar denken konnte. Wie gebannt starrte er das Ding an. Es wächst, schoss es ihm durch den Kopf. Schoben sich da nicht immer mehr Äste und Finger aus dem Nichts hervor? Das Fiepen stach. Er spürte, wie seine Haut brannte und austrocknete. Er glaubte, winzige Lichtblitze an den Rändern des Wesens zu sehen. Vor allem dort, wo der Geist im Nichts endete, explodierten Schauer aus Licht. Wie ein Ölfilm lagen die winzigen Explosionen auf seinen Tentakeln.
    „Zero!“, schrie er, aber sein Hund rührte sich nicht. „Zero! Wir müssen hier weg!“
    Er beugte sich zu Zero vor, um ihn am Halsband zu greifen. Da schoss urplötzlich ein Arm des Geistes hervor. Er zischte wie eine Peitsche in Zeros Richtung. Ian schrie auf und schützte sich vor dem gleißend hellen Licht. Wie Tausende von Wunderkerzen stob der Arm auseinander und ließ die Luft flimmern. Ian war wie gelähmt, die Hitze verschlang ihn.
    Und dann durchfuhr der Geist Zero.
    Es ging blitzschnell. Der Geist hatte einen seiner Tentakel nach Zero ausgestreckt und ihn einfach durchbohrt. Als wäre Zero gar nicht da, drang der Arm durch den Körper des Hundes. Der Setter winselte laut, bäumte sich auf und versuchte zurückzuspringen, doch „Zero!“
    Mit einem Schrei schlug Ian zu. Der Spaten hieb durch den Arm des Geistes. Sauste einfach hindurch. Ein Widerstand war kaum spürbar. Als sei der Geist aus Schaum. Ian hörte sich schreien und Zero jaulen. Dann kam die Dunkelheit.
    Benommen beobachtete er, wie sich der Geist zurückzog. Wie ein Gummiband schnurrte er von unsichtbaren Fäden gezogen in das winzige Loch irgendwo in der Luft hinweg. Zurück in seine Welt.
    Nur der Schein der Taschenlampe huschte noch über den Staub, der golden durch die warme Luft flog. So abrupt wie das Wesen verschwunden war, ebbte auch die Hitze ab. Das Fiepen war schlagartig verklungen, nur Ians Herz pochte noch wie verrückt. Doch der Spuk war vorbei.
    „Zero?“ Ian wischte sich Blut und Schweiß aus dem Gesicht. „Alles okay?“
    Mit zwei Schritten war er bei dem Setter, der leblos am Boden lag. Er kniete sich hin und berührte Zeros Fell. Es fühlte sich seltsam hart an und schien unter seiner Hand zu zerbröseln.
    Zitternd strich er seinem Hund über den Kopf.
    Zero regte sich nicht.

16
    Tau benetzte den Rasen, in den Peter eine Wunde geschlagen hatte. Die feuchte Erde vermischte sich mit dem Grün.
    Gern hätte Ian Zero in der Nähe der Terrasse beerdigt, näher bei ihm, aber Peter hatte es nicht zugelassen. Es war ein Wunder, dass er überhaupt zugestimmt hatte, Zero im eigenen Garten zu begraben und ihn nicht zum Tierarzt zu bringen. Peter hatte hinten im Garten, zwischen dem Rosenbeet und dem alten Gewächshäuschen, ein Loch gebuddelt.
    Mitten in der Opernvorstellung hatte Ian Olivia angerufen und sie schluchzend gebeten, sofort zu kommen. Während seine Mutter die ganze Zeit über geschwiegen hatte, war Peter wie ein geköpftes Huhn mit dem schnurlosen Telefon durchs Wohnzimmer gerannt. Sein Pferdeschwanz hatte aufgeregt hin und her gewippt und seine Fragen galten vor allem dem entstandenen Schaden in der Elektrik – ob dies ein Versicherungsfall wäre? Seine zweite Sorge galt der Polizei. Sollte er sie einschalten? Für die Versicherung wäre es vielleicht besser. Es war ihm anzusehen, dass er Ian nicht glaubte, dass die Stromkabel im Keller Feuer gefangen hätten und Zero einen Schlag bekommen hätte.
    Ian hatte stumm das Schauspiel seines Stiefvaters beobachtet. Denn genau das war es für ihn: ein Schauspiel. Ein Film, der ablief, während er neben seiner Mutter auf der viel zu großen Couch saß. Verloren, verwirrt und voller Trauer.
    Schließlich war Olivia aufgestanden und hatte eine alte Weinkiste geholt. Sie hatte die Holzkiste mit einem Seidentuch ausgelegt und Zero hineingebettet. Während Peter mit den Feuerwehrleuten und Polizisten sprach, die mit einem Mal das ganze Haus bevölkerten, hatte Olivia im Garten ein paar Blumen für Zero geschnitten.
    Wie betäubt stand Ian vor dem Grab und blickte auf seinen Hund hinab. Trotz seiner Verbrennungen sah der Setter aus, als schliefe er friedlich. Ian spürte, wie ihm erneut die Tränen kamen. Schluchzend kniete er sich hin, schloss den Deckel und legte Zero die Blumen auf den Sarg. Dann

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