Das Licht der Phantasie
fünfzehnjährigen Knaben zeigte, der erste Erfahrungen in bezug auf das andere Geschlecht sammelte. Und plötzlich mußte er sich der Erkenntnis beugen, daß er gar nicht mehr starb, sondern kopfüber in einer hohen Fichte hing.
Sein Körper gehorchte natürlich dem Gesetz der Schwerkraft, indem er von einem Ast zum nächsten fiel. Jedoch bevor sich Rincewind über diese neue Wendung des Schicksals Gedanken machen konnte, landete er auf zum Glück recht weichem Waldboden, schnappte nach Luft und wünschte sich, ein anständigerer Mensch gewesen zu sein.
Auf irgendeine Art und Weise, so hoffte er, sollte es möglich sein, seine sonderbaren Erlebnisse zu erklären. Im einen Augenblick stirbt man, nach einem Sturz über den Rand der Welt, und im nächsten findet man sich in einer Fichte wieder…
Rincewind runzelte die Stirn.
Und wie immer bei solchen Gelegenheiten rührte sich die Zauberformel in seinem Bewußtsein.
Von seinen Lehrern war er mehrfach darauf hingewiesen worden, in der Kunst der Magier sei er mindestens ebenso geschickt wie Fische beim Bergsteigen. Wahrscheinlich hätte man ihn irgendwann aus der Unsichtbaren Universität verstoßen – er konnte Zaubersprüche nicht im Gedächtnis behalten, und wenn er rauchte, drehte sich ihm der Magen um. Doch richtig problematisch wurde seine Lage erst, als ihm die törichte Idee kam, in das Zimmer mit dem Oktav zu schleichen und einen Blick ins angekettete Buch zu werfen.
Und was alles noch schlimmer machte: Niemand vermochte herauszufinden, wer oder was die Vorhängeschlösser vorübergehend entriegelt hatte.
Nun, der Zauberspruch war kein besonders anspruchsvoller Untermieter in Rincewinds Geist. Er hockte einfach nur da, wie eine alte Kröte im Teich. Doch immer dann, wenn sich der Magier müde und abgespannt fühlte – oder wenn er sich fürchtete, wie jetzt –, regte sich die Formel und wollte ausgesprochen werden. Keiner wußte, was geschehen würde, wenn man einen der Acht Großen Zaubersprüche für sich allein murmelte, doch die meisten Leute vertraten die Ansicht, in einem solchen Fall sei es besser, weit, weit weg zu sein.
Rincewind gewann plötzlich den Eindruck, daß ihn die thaumaturgische Formel am Leben erhalten wollte – eine überraschende Erkenntnis für jemanden, der gerade vom Rand der Welt gestürzt war und auf einem Haufen Fichtennadeln saß.
»Ist mir ganz recht«, brummte er leise.
Er stemmte sich in die Höhe und beobachtete den Wald. Rincewind kam aus der Stadt; er hatte zwar gehört, daß es Pflanzenkenner gab, die Bäume in verschiedene Gruppen und Untergruppen einteilten, aber sein Wissen beschränkte sich darauf, daß das dicke Ding, an dem keine Blätter hingen, in den Boden gehörte. Langsam drehte er den Kopf. Hier ragten viel zu viele Stämme in die Höhe, und ihre Anordnung bildete überhaupt kein erkennbares Muster. Außerdem herrschte zwischen ihnen das reinste Chaos. Er nickte grimmig und kam zu dem Schluß, daß der Wald schon seit Äonen nicht mehr gefegt worden war.
Noch etwas anderes fiel ihm ein. Er erinnerte sich an die Behauptung, man könne sich orientieren, indem man feststellt, auf welcher Seite eines Stammes Moos wächst. Diese Bäume aber wiesen rundum Moosfladen auf, und darüber hinaus weckten Dutzende von hölzernen Warzen und dürre, verkrüppelte Äste Rincewinds Aufmerksamkeit. Wenn Bäume wie Menschen sind, dachte er, dann gehören sie in Schaukelstühle vor einem warmen Kamin.
Er versetzte dem nächsten Stamm einen ärgerlichen Tritt. Der Baum reagierte sofort und warf eine wohlgezielte Eichel auf ihn herab. »Au!« entfuhr es dem Zauberer. Gleich darauf ertönte eine Stimme, die sich anhörte, als schwinge eine uralte Tür zu. »Geschieht dir ganz recht.«
Eine Zeitlang war es still.
Dann fragte Rincewind: »Hast du das gesagt?«
»Ja.«
»Und das auch?«
»Ja.«
»Oh.« Er dachte kurz nach und fügte schließlich hinzu: »Ich nehme an,
du weißt nicht zufällig, vielleicht, äh, möglicherweise den Weg aus dem Wald?«
»Nein«, sagte der Baum. »Ich komme nicht viel herum.«
»Scheint ein ziemlich langweiliges Leben zu sein.«
»Keine Ahnung«, erwiderte der Baum. »Ich kenne kein anderes, bin immer nur ein Baum gewesen.«
Rincewind sah ihn sich genauer an. Der Stamm wirkte völlig normal, ebenso die Zweige und Blätter.
»Bist du ein magisches Wesen?« erkundigte er sich.
»So eine Frage hat man mir noch nie gestellt«, antwortete der Baum. »Nun, ich glaube schon.«
Es ist
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