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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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Pullover, zwei Jacken über ihrer bleichen, schlaffen Haut, dazu ein Kopftuch, das ihre strähnigen, ungewaschenen Haare verbirgt. Ihr ist innerlich kalt, es ist die Kälte, die in alten Menschen wohnt, fernab von Durchblutungsstörungen und Fehlfunktionen; die kalten Fakten des Todes.
    Sie streunt durch den Tiergarten, es ist Samstag und Hertha spielt, es ist Flaschenzeit, Dosenzeit, egal, wie sehr das Wetter wütet, sie braucht jeden Cent für ihren Nachschub.
    Als deine Mutter ihren zukünftigen Schlächter das erste Mal sieht, angetrunken, einen Sack mit Leergut schleppend, den sie aus Glascontainern und Mülleimern gesammelt hat, glaubt sie, der Kerl wolle sie einfach nur abziehen. Es ist ein brutaler junger kräftiger Mann mit einer ins Gesicht gezogenen Basecap, auf der BERLIN prangt, einer Bomberjacke, dessen Bewegungen etwas Effizientes und Gnadenloses ausstrahlen – er bewegt sich mit der Selbstsicherheit eines Henkers. Sie verspürt Angst, eine tiefsitzende, tierische Angst. Sie hält in ihren Bewegungen inne wie ein Tier, das sich regungslos im Gras vor dem Räuber versteckt. Dann kommt er auf sie zu und hebt sein Gesicht und lächelt, und er sieht aus wie ein Baby-Boy, das ist, was sie als Zweites denkt, ein verlorener Baby-Boy, dieser zweite Gedanke nimmt fortan sämtlichen Raum in ihr ein und löscht den allerersten Eindruck der Angst aus. Wie ein Gespenst sickert der Fremde in sie ein, infiltriert ihre Erinnerungen an dich, zieht sie ihr wie ein golden gesponnenes Knäuel aus der schwarzen Schatztruhe ihrer Phantasien. Er macht dies nicht zum ersten Mal, er weiß, wie man täuscht und lügt, er ist ein Meisterdarin. Es ist seine Masche, damit fährt er gut, er hat es einfach drauf, er wickelt diese alte Tante um seine Finger, seine starken, mächtigen Finger, mit denen er ihr das Handgelenk, diesen morschen Knochen brechen könnte … aber nein, später, unser kleiner Kraftprotz hält sich zurück, er lässt es langsam angehen, er benötigt erst einmal seine Lektionen, und er weiß, dass er sie nur bei Mama bekommt.
    Mama trägt heute dieses verlotterte, ausgezehrte ALKOHOLIKER -Gesicht. Sie ist ein SCHLUCKSPECHT . Außerdem RIECHT sie nach altem SCHWEISS und nach MOTTENPULVER und nach TOTEM TIER.
    AH, DER DUFT DER FRAUEN.
    Seine Gedanken leuchten in dir auf wie glühende Signalfeuer, die sich in die Schwärze deiner Nicht-Existenz bohren, Brandzeichen gleich. Deine Mutter war verloren von dem Moment an, an dem er sie auswählte – Tage zuvor, als er beobachtete, wie sie sich beim PENNY mit Bier eindeckte und andere Kunden mit ihrem wirren, debilen Gequatsche belästigte. Er trieb sich in den Gängen herum und tat so, als wäre er wie alle anderen. Dabei juckte ihm der Schwanz, weil er spürte, wie das Verlangen nach Bestrafung wieder anwuchs wie ein fetter Furz, der unbedingt rauswill. Es war wieder so weit, er hielt Ausschau, er hatte die andere schon vergessen, schon in dem Moment, als seine behandschuhten Fäuste wie Kolben auf- und abstiegen und er ihr seine Form von Liebe ins Gesicht stanzte. Er ist ihr Baby-Boy, er ist jetzt du, er ist wie du, er wird du, er saugt an Mamas schlaffen, zerkratzten Brüsten, leckt ihre ungewaschene Haut, küsst sie zwischen den Beinen, wo das LOCH ist, vor dem du dich so gefürchtet hast, das LOCH , das dich zu verschlucken drohte, DU FÄLLST NICHT IN DAS LOCH, SONDERN ES FRISST DICH AUF, KLEINER MANN, UND NIEMAND WIRD DICH DORT DRIN FINDEN, KOMM ZU MAMAMAMAMAMA … aber der andere fürchtet sich nicht vor dem LOCH , er erobert die dunkle, tiefe Kaverne, er akzeptiert den Untergang, steckt sich den Daumen in den Mund, während sie ihnverprügelt und dominiert, weil er es will und braucht, und sie ist jetzt wieder jung, deine Mutter, die Frau mit den kalten, grausamen Augen, die ihrem neuen Baby-Boy ins Gesicht sieht und nicht begreift, dass dessen Augen genauso grausam und kalt und mörderisch sind wie ihre eigenen. Und der Schlächter ist selig, als er bestraft wird, denn er ist ein böser Junge, der zu einem sehr bösen und sehr kranken jungen Mann geworden ist.
    Zwei Menschen finden zusammen, die zusammengehören, er scheißt in Töpfe und auf Teller, und er ist ein wirklich schmutziger kleiner Dreckskerl, und sie zwingt ihn, die Scheiße zu fressen, und er leckt sogar den Teller sauber.
    Es schmeckt ihm wie zu Hause. Wie bei seiner eigenen Mutter, die er schon vor Jahren unter der Erde begraben hat. Als sie noch lebte, aber durch zwei Schlaganfälle stumm

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