Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
das war ich schon immer und es wird scheinbar nicht besser.«
»Solche Leute bestiehlt man einfach nicht. Wie konnten sie nur auf diese Scheißidee kommen?«
»Durchwachte Nächte, zu viel Sperrmüll im Kopf, man erstickt an den Verhältnissen … ich dachte mir, es ist besser, als wenn ich zu den Bullen gehe und rede.«
»Aber warum?«
»Ich kann nicht mehr.«
»Das ist doch kein Grund.«
»Sie verstehen rein gar nichts.«
»Ich weiß, dass Sie bald ein toter Mann sein werden.«
»Nicht werden, ich bin bereits tot, ja.«
»Und Ihre Familie auch.«
»Meine Frau stirbt, ja. So ist das.«
»Und Selina?«
»Das Geld ist für sie.«
»Sie wird es nicht nehmen. Nicht von Ihnen.«
»Sie kennen sie anscheinend besser als ich.«
»Nein.«
Mikosch blickte zu Boden.
»Wieso erzählen Sie mir dann so einen Mist?«
»Mikosch«, sagte Robert eindringlich, »verschwinden Sie aus der Stadt. Nehmen Sie das Geld mit, wenn Sie es für nötig halten. Es ist egal. Halten Sie sich nur von Selina fern.«
Selina kam auf die beiden Männer zu. Zaghaft, als traue sie dem Boden unter sich nicht. Robert bemerkte, wie Mikosch den Revolver wieder wegsteckte.
»Ich habe eine Menge gutzumachen«, sagte er.
»Sie Wahnsinniger, Sie wissen ja nicht, was Sie tun.«
»Das trifft wohl auf uns beide zu.«
Dann hob Mikosch die Hand und winkte seiner Tochter zu. Langsam und träge, als kapituliere er.
Er sagte: »Ich muss nachdenken.«
Robert sagte: »Dafür bleibt keine Zeit.«
»Verschaffen Sie sie mir. Sie können das. Wenn Sie mir helfen wollen, dann geben Sie mir Zeit. Ich werde nicht gehen, ohne mit Selina gesprochen zu haben. Aber nicht hier und nicht heute.«
Mit jedem weiteren Wort entfernte er sich von Robert, und dann, als Selina sie beide fast erreicht hätte, drehte er sich um und ging. Erstaunlich schnell und sicher, aber das lernte man wahrscheinlich auf der Flucht.
Selina rief seinen Namen, rief: »Nicht schon wieder.« Robert griff an ihren Arm und hielt sie zurück.
»Du feiger Mistkerl«, schrie sie ihrem Vater hinterher. »Dein Vater steckt in sehr großen Schwierigkeiten«, sagte Robert, als er Selina mit dem BMW zurückbrachte. Dann erzählte er ihr das, was er sich in Gedanken schon zurechtgelegt hatte. Nicht die volle Wahrheit, vor allem seine Rolle betreffend, sondern wie immer an den Rändern entlang.
»Ich begreife rein gar nichts«, sagte sie.
Ich weiß, dachte er.
KAPITEL
ACHTUNDZWANZIG
Eisregen splitterte aus dunkeldickbäuchigen schweren Wolken, attackierte unablässig die Windschutzscheibe seines Toyotas. Die Gesichter der Menschen verbargen sich unter bis zur Nase hochgewickelten Schals, Kapuzen verbargen ihr Antlitz im Schatten, erstarrte, scharfkantige Schneehaufen wiesen schwarze Schmutzränder auf. Ständig hörte er die Sirenen von Löschzügen, als stecke jemand die Stadt absichtlich in Brand, als könne nur das gigantische Feuer aller Seelen, aller Dinge die Welt ein für alle Mal von Kälte und Eis befreien.
Wahrhaft dunkle Zeiten, dachte Abraham.
Er dachte an seine Kinder, an Judith in Paris, Tyler in den Staaten, und dass er sie viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Dachte an Robert, der immer irgendwo in ihm herumspukte. Er vermied es, an seinen Vater zu denken. Er würde ihm, so wie es aussah, wohl alleine gegenübertreten müssen. Ohne Robert. Ihm alleine gegenübertreten nach so vielen Jahren – in Fleisch und Blut, nicht mehr in bizarren unheimlichen Träumen, sondern in ihrer gemeinsamen Realität. Er wusste nicht, ob er dafür stark genug war. Wusste nicht, was ihn erwartete. Um sich abzulenken, dachte er an Erin, aber er war nicht richtig bei ihr, er war längst woanders mit seinen Gedanken. Bei ihr.
Warum war alles so kompliziert?
Weil es zu einfach wäre, wenn es einfach wäre.
Wie durch ein Wunder fand er einen Parkplatz, die Reifen des Toyotas gruben sich in Eis und Schnee. Ein anderer Bewohner des Hauses öffnete ihm die Haustür und blickte ihm neugierig hinterher. Abraham nahm ihn nicht einmal wahr. Er stieg die Treppen hoch, seine Beine waren seinen Gedanken immer einen Schritt voraus, bis ihre Wohnungstür ihn stoppte. Nervös und aufgeregt wie ein Pennäler vor einer wichtigen Prüfung störten ihn Levys mahnende Worte bei einem letzten Versuch, den Privatmann und den Polizisten voneinander getrennt zu halten, er schwankte hin und her, bis sein Finger die Entscheidung für ihn traf und auf den Klingelknopf drückte. Er hörte ihre eiligen Schritte, und als
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