Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
stand und ihn fixierte wie ein Raubtier ein Stück Fleisch. Edda, die schon einiges intus hatte (er sah die ganzen Flaschen auf dem Tisch),laberte schließlich los und beschimpfte ihn wie in alten Zeiten, angefeuert auch von dem Typen, der sie ermunterte, mal richtig abzuledern. Eddas Zorn, immer noch tief in ihr sitzend, die alten Wunden, die bluteten und eiterten, amüsierte ihn wie ein kleines Kind, das sich an dem sinnlosen Geplapper eines Papageis erfreut. Gib’s ihm ruhig, er hat’s verdient, der alte Pisser, hau ihm noch eine rein und noch eine, HAHAHA. Dabei ließ er Markowitz nicht aus den Augen, wartete auf eine Reaktion – auf was? Dass er zusammenbrach und sich selbst unter dem Elend begrub?
Oder dass er aggressiv wurde und zuschlug – wie früher. Was für ein Scheißkerl bist du bloß?, dachte Markowitz. Ihm wurde die ganze Situation immer unangenehmer. Er fühlte sich fehl am Platze – mehr als je zuvor in Eddas Nähe. Und er wollte von diesem Kerl mit den toten Augen weg. Denn was Edda nicht sah oder sehen wollte oder sehen konnte, weil er sie täuschte oder weil sie bereit war, sich täuschen zu lassen, war, dass ihr Begleiter etwas zutiefst Verstörendes ausstrahlte.
»Ich gehe jetzt«, sagte Markowitz und stellte die halbleere Flasche auf den Tisch, wo sie sich zu den anderen reihte. Aber der Kerl versperrte ihm den Weg hinaus. Er ging nämlich einfach nicht aus der Tür, die er mit seinem muskulösen breiten Körper völlig einnahm.
»Nein, lass das Schwein nicht gehen«, krächzte Edda, »er soll sich alles anhören, alles, was er mir angetan hat.«
»Was ich dir angetan habe?«, rief Markowitz und drehte sich zu ihr. »Und du mir. Wir uns!« Es war die Wahrheit, nicht seine Wahrheit, sondern DIE Wahrheit; dieses brache Feld hatten sie beide über Jahre gemeinsam bearbeitet.
»Was sagst du denn dazu, Edda?«, höhnte der Kerl.
Edda schrie und warf ihre Flasche in Richtung Markowitz. Sie verfehlte ihn und platzte an der Wand neben der Tür. Der andere zuckte nicht mal. Edda stieß jetzt jedes einzelne Wort abgehackt hervor: » Du hast versucht, mich zu killen, du Schwein.«
Sie hat nicht mal unrecht, dachte Markowitz.
»Edda, bitte«, sagte er kraftlos. Aber Edda ließ sich nicht mehr aufhalten. Sie sprang regelrecht vom Stuhl und auf ihn zu und schlug ihm ihre Fingernägel wie Krallen ins Gesicht. Er spürte den Schmerz, er spürte das Blut. Zwei starke Hände griffen nach Eddas Handgelenken, bogen sie nach hinten.
»Besser, du gehst jetzt, Pisser, besser, bevor deine Alte durchdreht. Und tu uns allen einen Gefallen: Lass deinen Schwanz in der Hose und vergiss sie. Und vergiss mich, hörst du? Komm nicht zurück.«
Und wenn doch, dachte Markowitz. Was machst du dann? Aber das wollte er wirklich nicht wissen, als er durch die Türe schlüpfte und aus dem Haus ging. Und er drehte sich nicht um, und er löschte Edda aus seinen Gedanken.
Als er von ihrer Ermordung erfuhr, galt sein erster Gedanke dem Kerl. Doch als der Bulle, dieser Abraham, ihn befragte, da erzählte er nichts von seiner letzten Begegnung.
Die Gedanken Markowitz’ blieben Abraham verborgen. Er hatte unterdessen den Plattenbau verlassen und kehrte zu seinem Wagen zurück. Zündete sich unterwegs eine Zigarette an, inhalierte den Rauch, trat gegen einen festgebackenen Schneeklumpen. Sah zwei Kindern zu, die ihren Papierdrachen an den Wind verloren und ihm lärmend hinterherjagten. Keine Chance, ihn wiederzukriegen, schwarze Wolken rissen ihn über die Stadt und hinfort.
Du blickst dem großen Mann mit den traurigen Augen über die Schulter, und dein Blick zerfällt und kehrt zurück, er sucht nach Antworten, die du bereits kennst, könnte er nur das sehen, was du siehst, deinen Worten lauschen, könnte er dich wirklich verstehen und begreifen jenseits der Linie, die euch trennt. Du weißt von der Stadt in der Wüste, dem Ort der Finsternis, in der sich Schänder und Geschändete gleichermaßen auf Augenhöhe bewegen, inder der Mann seinem Schicksal begegnet in Gestalt seines älteren Abbildes. Es gelingt dir nie lange genug, dort zu bleiben, um auf den verschlungenen bizarren Wegen des Traumes Kontakt zu ihm aufzunehmen, denn du bist nicht Teil dieser Welt, die er erschafft und die er bevölkert mit seinen Mördern und Opfern. Du könntest ihm so viel erzählen …
Es ist Herbst, kälter und dunkler als sonst, und deine Mutter friert, wie sie immer friert, egal in wie viele Kleider sie sich gewickelt hat, Blusen,
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