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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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vorzustellen, in einem Büro, doch jedes dieser Bilder hing schief vor ihr und verrutschte, sooft sie sie auch zu fixieren versuchte. Es hatte keinen Zweck; sie waren alle beide aus dem Bild der Welt gerutscht.
    »Ich tu es.«
    Aber nicht für Beck, dachte sie. Für uns. Dass wir schnell von hier wegkommen, bevor … ja, bevor was?
    Bevor uns etwas zustößt.
    »Nur so viel, dass wir weiterziehen können«, sagte sie, verdrängte den anderen Gedanken und nahm seine Hand.
    »O Gott, Polly«, kam es stöhnend aus ihm heraus. Erleichtert. Dabei kam er sich vor wie der letzte Dreck. Er dachte an seinen Vater, er sah wieder dessen anklagendes Gesicht vor sich, sein resignierendes Kopfschütteln, eine Geste, die er sich jahrelang hatte ansehen müssen.
    Ich habe das Mädchen gewarnt, aber sie wollte nicht hören. Mein Junge ist nicht gut für andere. Er bringt ihnen nur Unglück.
    Du liegst genau richtig, alter Mann, dachte Mevissen. Jetzt kann ich’s dir ja sagen.
    Als hätte das noch irgendeine Bedeutung.

KAPITEL
DREISSIG
    Grischa hatte im vergeblichen Versuch, die Stadt um sich herum auszublenden, die Fenster geschlossen. Ohne den Blick auf die Leuchtreklame und Ampeln in der tintigen Dunkelheit, ohne die Verkehrsgeräusche und die auf- und abschwellenden, heulenden Winde erschien ihm das Zimmer noch viel kleiner, als es ohnehin schon war. Die Welt klebte jenseits der dünnen Glasscheibe, glotzte und trompetete vergeblich um seine Aufmerksamkeit.
    Arschawin hatte diese Wohnung hier angemietet, sie diente ihnen als Operationsbasis. Ein Zimmer, Küche, Bad. Ein angemessener Unterschlupf für einen Auftragsmörder, dachte Grischa, er kam sich vor wie eine Schabe in einem Schuhkarton, aber das machte nichts; er war schon an wesentlich unwirtlicheren Orten gewesen.
    Arschawin wohnte in seiner eigenen Wohnung, die bestimmt viel größer und heller und gemütlicher war.
    Auch gut. Hauptsache, Grischa war ungestört. Er saß an einem winzigen Tisch, von dessen vier Beinen zwei bedenklich wackelten, und setzte die Waffe wieder zusammen, die er vor zehn Minuten mit geschlossenen Augen auseinandergenommen hatte. Es handelte sich um eine österreichische Kunststoffkomposition, eine Glock-17, sehr leicht in ihrem Gewicht und einfach zu handhaben, eine moderne, tüchtige Konstruktion, ganz anders als seine schwerfällige Tokarew, ein Relikt aus alten Zeiten, so wie er auch. Grischa hatte die einzelnen Teile der Waffe mit dem dazugehörigen Öl und einem Wattebausch gereinigt und die Patronen zurück ins Magazin gedrückt. Das war reine Routine, und er fand Routine immer schon beruhigend; Routine war der Ableger des Drills, der ihn wiederum an die Armee erinnerte.
    Er beschäftigte sich auch, um den Schlaf hinauszuzögern.
    Seit er die Stadt betreten hatte, fühlte sich Grischa wie in einen permanenten Halbschlaf versetzt, in dem er die schwarzen, zarten Ränder seiner Träume aufsuchte. Auf der Suche nach Larissa. Er kam nicht zur Ruhe, solange er ihr nicht begegnete – hier oder anderswo. Aber der Grund und Boden seiner Träume zerfiel wie Asche unter seinem Gewicht und stattdessen stolperte er in eine Art Kaninchenbau und fand sich in der Hölle wieder … nicht in Grosny, sondern im Hinterland … jenseits der wilden Grenze, dort, wo er alles Menschliche abstreifte und der wahre Eismann geboren wurde … der Schlächter, der Töter …
    WUUUSCH.
    Jemand schrie. Tretjak.
    Nicht Grischa.
    Grischa drückte nur seinen Kopf zwischen die angewinkelten Beine und schlang die Arme um seinen Nacken. Kugelte sich ein.
    KA-BOOOOOM.
    Später erfuhr er, dass sie keine schultergestützte SA-7 -Flugabwehrrakete getroffen hatte, sondern eine läppische RPG-7 -Granate, die gegen Panzer konzipiert war. Ein Zufallstreffer auf gut Glück auf ihren zu niedrig über die zerstörte Landschaft huschenden MIL-MI-8-Transporthubschrauber abgefeuert.
    Ein Treffer am Seitenheck.
    Die Welt geriet ins Trudeln.
    Himmel und Erde vertauschten ihre Plätze.
    Sie stürzten unkontrolliert ab.
    Grischa schloss die Augen und sich selbst aus dieser Hölle und holte Larissas Gesicht aus seinem Herzen hervor. Er lächelte als Einziger, als sie in Flammen und Rauch niedergingen.
    Er hatte den Tod gegeben, und er war bereit, ihn zu empfangen, um als glücklicher Mann zu sterben, denn er wurde geliebt. Als Nächstes zerrte ihn eine Vielzahl von Händen aus dem Wrack. Keine davon gehörte einem Freund. Grischas Haut unter der Uniformwar versengt, er blutete, stand unter

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