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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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war ihm bewusst. Als die Armee ihn nach Hause schickte, hielt er für einige Wochen Abstand zu ihr. Es ging ihm darum, ein, wenn auch fragiles, Gleichgewicht in seinem verdüsterten Verstand wiederherzustellen. Grischa hatte furchtbare Angst, der Eismann könnte die Kontrolle über ihn übernehmen. Das Töten war so befriedigend gewesen. Er hatte sich mächtig gefühlt, unbesiegbar, unverwundbar.
    Im Gegensatz zum Eismann aber hatte Grischa kein weiteres Interesse daran, erneut in den Krieg zu ziehen, obwohl ihm lukrative Jobs als Söldner winkten. Mochten die Tschetschenien-Veteranen in der Öffentlichkeit als Kindermörder angesehen werden, Kampferfahrung war unbezahlbar. Männer, die mehr als nur die Grenze des Tötens überschritten hatten, Männer ohne Moral und Anstand, Männer ohne Gegenwart und Zukunft, weil die Vergangenheit sie im Schwitzkasten hielt.
    Auf den Straßen von Moskau schlug Grischa die Zeit tot unddie damit verbundenen quälenden Erinnerungen an Grosny, die Gefangennahme und Folter, seine Flucht und die Blutschneise, die er dabei gezogen hatte. Er streifte wie ein Gespenst umher. Sein Kopf war kahlrasiert, seine kalten Augen waren eingesunken, das Gesicht war ausgezehrt und eingefallen, das Töten und Überleben hatten ihn sämtlicher Energie beraubt. Wenn er sich nicht herumtrieb und seine letzten Ersparnisse versoff, lag er in einem schäbigen, verlausten Zimmer in einer Absteige apathisch in seinem Bett herum und musste sich die ewigen Streitereien von Nutten und Freiern, Besoffenen und Drogenfreaks, die die anderen Zimmer in eine Vorhölle verwandelten und ihn an Gorkis »Nachtasyl« erinnerten, anhören. In den Nächten stieg der Eismann aus Grischas Körper wie ein Untoter aus einem Grab und setzte sich an sein Bett. Wenn er sprach, dann mit Grischas Mund, klirrende Worte, die sich über taube Lippen schoben. Die Luft um ihn herum gefror, und ein heftiger Schmerz siedelte sich in seinem Kopf an, ballte sich dort zusammen und ging von diesem Brückenkopf aus daran, weitere Außenposten in seinem restlichen Körper zu errichten.
    »Was willst du mit deinem erbärmlichen Rest Leben noch anfangen, mein Junge?«, fragte ihn der Eismann.
    »Hier liegen, bis du verfaulst und sie deinen stinkenden Kadaver entsorgen? Deine Frau wartet auf dich. Deine süße, warme Larissa. Ich weiß, du hast Angst. Angst, dass sie neben dir erfriert, weil ich es bin, mit dem sie fickt und der sie an sein kaltes, KALTES Herz drückt.«
    Grischa hörte die Worte und konnte sich ihnen nicht entziehen, weder sich das Kissen auf die Ohren pressen, noch seine Finger in die Ohren drücken. Der Eismann saß bei ihm und war doch gleichzeitig IN IHM.
    »Meinst du nicht auch, sie fände mit der Zeit Gefallen daran, mein KALTES Herz zu wärmen.«
    Der Schmerz verwandelte sich in einen Hammer, der seinen Schädel als Amboß mißbrauchte. Er spürte, wie Stücke seines Verstandes(wieder einmal) abbrachen und unwiderruflich verlorengingen.
    »Meinst du nicht auch, dass in ihrem Herzen genug Platz für uns BEIDE ist?«
    Grischa schrie auf und rammte seinen Kopf gegen die mürben Wände des Zimmers, morste seinen Terror in die Eingeweide des Gebäudes, wo er sich zu den Albträumen der anderen Bewohner gesellte. Und als ihm das Blut in die Augen lief, weinte er Tränen wie kalte Sturzbäche.
    Er stand am Fenster seines Zimmers und wünschte sich seinen Körper verdreht und zerschlagen auf dem Asphalt unter ihm. Er überlegte, sich eine Pistole zu besorgen und eine Kugel in den Eismann zu jagen. Ein Loch in seinen Schädel zu schlagen, um ihn aus seinem Versteck zu zerren.
    Er leerte Flasche um Flasche. Er rief Larissa an, ohne sich zu melden, weil er Angst hatte, dass sie mit dem Eismann sprach und nicht mit ihrem Grischa. Würde sie es merken? Den kalten, erbarmungslosen Unterton in seiner Stimme? Er ging beinahe zugrunde vor Sehnsucht nach ihr, alleine ihre traurige, fragende Stimme, die seinen Namen am anderen Ende der Leitung rief, erschütterte ihn, weil er schwieg, schweigen musste, sich nicht verraten durfte, denn er war noch nicht so weit, zu ihr zurückzukehren, obwohl dies alles war, was er wollte.
    Die Gewalt, die Lust an der Jagd, der Todestrieb, all diese Anlagen, die schon immer in ihm waren – sie machten ihm wie eine schäbige Gangsterbande in einem hardboiled-Roman klar, dass sein Arsch ihnen gehörte. Entweder er arrangierte sich mit ihnen (»du beteiligst uns am Blutzoll, Jungchen«), oder sie kaperten ihn wie

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