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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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verstört, beinahe wütend. Es waren die ersten emotionalen Züge überhaupt an ihm.
    »Ja, sie hatten mich gewarnt«, murmelte er. »Du bist ein wirklich hoffnungsloser Fall.«
    Dann tat er etwas Surreales und Beängstigendes. Er überraschte Grischa damit und trieb ihn über die Kante des Wahnsinns, an der er seit dem Absturz und der ständigen Folter stand. Hinter dieser Grenze, dem Bodenlosen, wartete der Eismann, machte sich jetzt bereit, Grischa wegzuschieben, um die Kontrolle zu übernehmen … um zu überleben. Grischa störte dabei nur, er war schwach, wie sie alle schwach waren.
    Vielleicht war das, was der Iraner tat, bewusst gewollt, vielleicht auch nicht. Vielleicht war er einfach nur frustriert. Jedenfalls holte er eine kleine Fotografie hervor, die er in Grischas Uniformtasche gefunden hatte. Sie zeigte Larissa, es war das einzige Foto von ihr, das Grischa bei sich hatte. Ich hätte es vernichten sollen, dachte Grischa, jetzt fuhren die mit seinem Blut befleckten Finger des Iraners über ihr Gesicht.
    Wollte er ihn damit provozieren?
    Grischa war schlaff, war zusammengesackt, spürte, wie seine körperlichen Reserven wie Schnee in der Hölle zusammenschmolzen. Eisige Tentakel krochen in seinem Kopf herum. Seine verstümmelten Finger und Zehen brannten wie verrückt, und mit ebensolch verstümmeltem Blick sah er auf den kleinen Haufen Finger- und Fußnägel und Zähne, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Teile seines Körpers, die sich schon von ihm gelöst hatten. Plötzlich griff der Iraner nach seinem Kinn und drückte sein Gesicht nach oben. Zwang Grischa, ihn anzusehen.
    SIEH MICH AN UND SIEH, WAS ICH DEINER FRAU ANTUE.
    Dann steckte der Iraner sich das Foto in den Mund. Kaute drauf herum, speichelte es ein und aß es auf. Vernichtete Larissa, fraß ihre Seele. Die beiden Wächter lachten dreckig dazu.
    Grischa hörte sich selbst schreien … dann nichts mehr. Er stürzte einen tiefen schwarzen Schacht hinunter.
    »Tötet ihn«, sagte der Iraner, er stürzte aus einer Feldflasche Wasser seine Kehle hinunter, um die zerkleinerten Reste des Fotos loszuwerden. Er verstand selbst nicht, was er da gerade getan hatte. Vielleicht hatte dieses Land, hatten diese Menschen etwas an sich, was eine Art von Irrsinn auslöste, eine Erkrankung der Seele.
    Was er hingegen jedoch ganz bestimmt wusste, war, dass er genau wie Grischa nicht hierhergehörte.
    Alles, was danach passierte, existierte in Grischas Erinnerung so trübe wie aufgewühlter Schlamm auf dem Grund eines urzeitlichen Sees. Wahrscheinlich, weil es nicht seine Erinnerung war, sondern die des Eismannes. Es war der Eismann, der, während ihn die Männer mit den Kolben ihrer Gewehre traktierten, die Fesseln langsam über die zerschundenen Hände streifte.
    Sie wollten ihn hinter dem Haus erledigen und hatten dafür bereits ein Loch gegraben. Neben dem Loch stand ein Benzinkanister.
    So als hätte jemand große Teile seines Gedächtnisses mit einer Schere zerschnitten und in einer verdrehten, falschen Abfolge wieder zusammengefügt, blitzten Bilder auf: das von der scharfen Kante des Kanisters zerschnittene Gesicht eines der Männer, der zertrümmerte Kehlkopf des anderen, Blut auf dem hartgefrorenen Boden, Mündungsfeuer, das den Himmel zerrreißt, ein zerquetschter Hoden, Finger, die sich tief und grauenhaft in Augenhöhlen bohren, eine aufgeschlitzte Kehle, ein brüllender rostroter Mann, Stunden später wie ein Wahnsinniger durch eine zerstörte Landschaft taumelnd, das Gesicht des iranischen Verhörspezialisten im Fenster des Folterhauses auftauchend, kreidebleich nach einer Waffe suchend und nichts als seine Zangen findend.
    Typisch, diese bärtigen Fanatiker. Bringen eine Zange zu einer Schießerei mit. Der Eismann betrat das Haus.
    Wie sich herausstellte, brauchte er keine Patrone an den Iraner zu verschwenden. Das Spiel der Messerklinge genügte, und er spielte es sehr lange.
    Danach nahm er dem Iraner die Schuhe ab, kleidete sich ein, schulterte eine der AK-47 s und stopfte so viel Munition wie möglich in seine Taschen. Und zog los.
    In einem Gehöft, zwei Kilometer entfernt, löschte er eine Familie aus. Fraß sich durch ihre Vorräte. Spürte, wie seine Kraft zurückkam. Er tötete das Vieh auf einer Weide.
    Einfach so. Er wollte töten. Die Welt auslöschen.
    Alle.
    Alles.
    Auf seinem Weg zurück zu den eigenen Linien hinterließ er nichts anderes als eine blutige Spur.
    Mit dem Wahnsinn des Eismannes hätte Larissa nicht leben können, das

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