Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Schock, starrte aus zusammengequollenen Augen in grimmige, düstere Gesichter. Der Feind hatte ihren Absturz verfolgt und war mit alten Jeeps und Motorrädern zur Aufschlagsstelle geeilt. Grischa wusste nicht, ob er der einzige Überlebende war, aber das war auch egal. Wenn die Rettungsmannschaften eintrafen, wenn überhaupt, dann würden sie nur das ausgebrannte Wrack vorfinden. Und so war es auch.
In diesem Krieg hatte Grischa mehr als zwei Dutzend seiner Feinde getötet, Väter, Brüder, Söhne von jemandem, und jetzt befand er sich in ihren Händen, und ihm war klar, dass ihn keine Gnade erwartete.
Und so kam es auch.
Der Mann, der ihn über Tage und Wochen hinweg verhörte und foltern ließ, war ein junger, bebrillter, schmächtiger Kerl. Er ähnelte weniger einem Spezialisten für Schmerzen und Qual als einem Studenten, der geistesabwesend über den Campus einer Universität schlich, in seine Bücher vertieft, den Kopf schwer von Wissen. Ernste, dunkle Augen hinter dicken Gläsern.
Er ließ Grischa abwechselnd von zwei Handlangern verprügeln, die extra dafür abgestellt waren, so lange und so hart, bis er sich die Seele mitsamt Blut aus dem Leib kotzte. Sie wussten genau, wo sie hinschlagen mussten; er hatte es ihnen vor Grischa geduldig erklärt. So viel, um ihn vor Schmerzen schreien zu lassen, aber nicht so viel, um ihn aus Versehen zu töten. Grischa maß die Zeit anhand der Qualen, die er erlitt, seine Augen blieben meistens verbunden. Morgens war es am schlimmsten, nachmittags ließen sie es langsamer angehen und liefen abends noch mal zur Hochform auf.
Das Foltern und Verhören war eine Kunst für sich – die Tschetschenen bedienten sich deshalb ihrer erfahreneren Glaubensbrüder aus dem Nahen Osten, aus dem die wahren Künstler stammten. Der hier kam aus dem Iran und hatte seine Kenntnisse und Techniken in den Kellern des Evin-Gefängnisses in Teheran gelernt. Er wusste, dass Grischa einer Spezialeinheit angehörte, underklärte ihm, dass es Allahs Wille war, dass er sich nun in dieser misslichen Lage befand, so als hätte die Faust einer göttlichen Macht ihren Hubschrauber vom Himmel gefegt und nicht eine Panzerabwehrrakete.
Grischa lachte ihn aus und beschimpfte ihn und den Propheten so unflätig wie nur möglich. Einerseits war das eine Taktik, um den Kerl zu provozieren und aus dem Takt zu bringen, andererseits machte es ihm einfach Spaß. Grischa war nicht mehr als ein lebender Toter und nur so lange nützlich, wie er dieses Spiel mitspielte und die andere Seite glauben ließ, sie könnten ihn brechen.
Im Laufe des Verhörs zog der Iraner mit einer Zange Grischas Fuß- und Fingernägel. Dann alle Zähne. In die offenen Wunden rieb er Salz. Grischa hörte sich selbst schreien, aber es klang gar nicht nach ihm. Es klang überhaupt nicht wie ein Mensch.
(In ihm nahm der Eismann Grischas Verstand in seine eisigen Hände und drückte zu, forderte seinen lebenslangen Platz nicht an seiner Seite, sondern IN IHM für immer ein. Etwas verschob sich in Grischa, Teile seiner Persönlichkeit drifteten wie die Kontinentalplatten am Anfang der Zeit auseinander, kollidierten, erschütterten einander, brachen auf, versanken.)
»Alle deine Kameraden sind tot«, sagte der Iraner, seine Stimme betonte jede einzelne Silbe, fast als würde er sie singen. Er hatte eine sehr hohe, kindliche Stimme, die zu seinem jungenhaften Gesicht passte. »Du bist ganz alleine, und niemand sucht nach dir. Ihr seid Kanonenfutter, entbehrlich, euer Gott hat euch verraten. Er schickt euch hierher, um zu sterben. Um einsam zu krepieren. Hier endet die Hoffnung, mein Freund. Aber vielleicht gewährt dir Allah Gnade … wenn du mit mir sprichst. Über deine Einheit zum Beispiel. Eure Ausrüstung, Taktik. Euer Hauptquartier.«
»Leck mich am Arsch«, sagte Grischa. Seine Augen waren erloschen. Der Iraner schüttelte beinahe traurig den Kopf. Er kannte diesen toten Blick, diese verzweifelte Leere, wenn die Menschen aufhörten, Menschen zu sein, um in ihre allerletzte Form überzugehen: nur noch Haut und Knochen und Blut und Schmerz und Schrecken.
Ihn schauderte, nicht vor der Gewalt, darüber war er lange schon hinaus, sondern weil er ein Mann der Sonne war, vom Kaspischen Meer stammte und dieses ewig kalte, regnerisch-graue Land hasste. Er hasste den Scheißfraß und seine ungewaschenen, stinkenden Brüder. Nichts, was er jemals laut sagen würde. Und auch der Ungläubige vor ihm würde nichts sagen.
Der Iraner wirkte
Weitere Kostenlose Bücher