Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
steigt in den Keller. Sie begreifen erst im letzten Moment, dass ›Ich liebe dich‹ und ›Ich töte dich‹ nichts anderes sind als Buchstaben und gleichermaßen ohne Bedeutung. Von Bedeutung ist nur die Faust in ihren Fressen, das Messer in ihren Fotzen, der Draht um ihren Hals. Sie leben alle nur auf diesen Augenblick hin – ihr ganzes Leben lang als wandelnde Tote darauf wartend, dass ich vorbeikomme und das Urteil vollstrecke.«
(Polly tauschte die Kassetten aus. Diese hier war mit »Ursula« beschriftet. Ihr Finger verharrte diesmal Zentimeter vor derPLAY-Taste, sie kam ihr so bedrohlich und vernichtend wie ein roter Knopf in irgendeinem Weltuntergangsbunker vor. Hatte sie nicht schon genug gehört, um zu wissen, wie verrückt Beck war? Kranker, als sie es sich je hätte vorstellen können – und tödlich dazu. Aber bevor sie überhaupt einen weiteren klaren Gedanken und dann noch einen und den nächsten fassen konnte – und jeder dieser Gedanken schrie förmlich: DU MUSST HIER WEG, fiel ihr Finger auf die Taste.)
Beck/Ursula.
»Ursula hat sich gewehrt. Das war interessant, weil das Stück Fleisch davor, Christina, so einen Todesdrang hatte – ja, genau, das Miststück wollte sogar sterben, sie lag nämlich da wie ein Lamm auf der Schlachtbank, als ich mit der Schlinge kam, und gab keinen Mucks von sich, als ich zudrückte; dass sie zappelte, als ihr Gesicht wie ein Kürbis anschwoll und die Blutgefäße platzten, war eine rein physisch-mechanische Reaktion ihres Körpers im Todeskampf; innerlich hatte sie dem schon lange nichts mehr entgegenzusetzen. Nicht, dass ich so etwas mich gleichgültig Lassendes wie Dank erwarte – ich töte in allererster Linie für mich, damit das klar ist! Wenn ich damit nebenbei noch den Müll von der Straße schaffe, ist’s auch gut. Ursula war ein größeres Kaliber. Ehemalige Kneipenbesitzerin, war mit einem Hells Angel zusammen gewesen, hatte sich ein paar Jahre prostituiert, eine sonnenbankgebräunte, durchtrainierte, blondierte Frau Anfang fünfzig, im Mami-Alter. Ursula fuhr zu Anfang unserer Beziehung zweigleisig, sie hatte auch was mit einem Gebrauchtwagenhändler laufen, einem Türken. Ich musste mich ganz schön ranhalten, um bei ihr auf dem Sattel zu landen, aber ich wusste von Anfang an, dass sie es wert war. Vor allem, als ich erfuhr, dass sie zwei Krebsoperationen hinter sich hatte. Sie wollte leben bis zum Gehtnichtmehr, weil ihr klar war, dass hinter dem Tod nichts mehr ist. Den Krebs hatte sie gut überstanden, aber ich war zu viel für sie. Sie zu töten, nachdem der ältesteFeind der Menschheit bei ihr versagt hatte, war überaus geil, und dadurch, dass sie um ihr Leben kämpfte, wieder einmal, zog sich ihr Terror in die Länge. Selbst als ich ihr das Gesicht mit meinen Fäusten zertrümmerte, gab sie sich nicht geschlagen. Jedenfalls plärrte sie nicht um ihr Leben, sondern schlug mit ihren Fäusten auf mich ein; ich war beeindruckt. Ihr Rockerfreund hatte ihr einiges gezeigt, und bei einem Glückstreffer, wer weiß? Ich hatte die Türen verschlossen und die Fenster ebenfalls, außerdem war sie wirklich schwer verletzt, nein, die wäre mir nicht entkommen. Sie wurde dann wegen des Blutverlustes schwächer, ihr zerstörtes Gesicht schwamm geradezu in Blut, und als ich mit dem Messer anfing, ihre Brüste abzuschneiden, wie eine Kriegstrophäe, da kratzten ihre Finger nur noch schwach an meinen Armen herum. Ich schnitt sie ihr ebenfalls ab, alle zehn Finger, und spülte sie die Toilette runter.«
(Polly schaffte es gerade noch, auf STOP zu drücken. Auf halbem Weg ins Bad kotzte sie den Boden voll. Danach kauerte sie mit schmerzendem Bauch neben der Toilettenschüssel und atmete mehrmals tief durch. Es ist Zeit, aufzuhören und etwas zu tun, dachte sie. Aber der Schrei ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. War das, was sie sich auf den Kassetten anhörte, tatsächlich geschehen oder erzählte Beck nur irgendeine Horrorstory? Sie schleppte sich zurück an den Tisch und fingerte nach der nächsten Kassette. »Edda«.
PLAY.
Diesmal bekam sie ihren Schrei.)
KAPITEL
SIEBENUNDDREISSIG
»Die Stadt ist während meiner Abwesenheit nicht gerade kleiner geworden«, sagte Robert. »Oder hat sie sich nur weiter aufgeblasen? Dazu neigte sie ja immer schon.«
Es tat gut, endlich wieder Roberts sonore, kräftige und vor allem selbstsichere Stimme zu hören, nicht über ein verdammtes Handy, sondern in echt. Abraham hatte sie so sehr vermisst, dass er anfangs nur
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