Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
wenig von sich gab und Robert reden ließ.
»Kreatives Chaos ist also immer noch hier angesagt.«
»Ja, und es wird von Tag zu Tag schlimmer. Wie ist der Kaffee?«
Robert rührte in seinem Becher herum und tat so, als betrachte er die braune Flüssigkeit wie ein Wissenschaftler.
»Akzeptabel.«
»Lügner.«
»Erwischt. Er ist furchtbar.«
Sie grinsten sich an. Abraham dachte an Lydias miserablen Kaffee. Tja, so viel besser bin ich auch nicht.
»Mutter hat einen Kaffee gekocht, der war toll. Der beste«, sagte Robert.
»Du hast ihn dir ja auch jeden Morgen reingezogen.«
»Hat mich durch die Schulzeit gebracht.«
»Ja, aufgeputscht und mit mächtig Testosteron zwischen den Beinen.«
»Das neidest du mir wohl immer noch.«
Sie saßen in Abrahams Wohnung, rauchten, redeten, so als wäre Robert vor Jahren einfach mal kurz um die Ecke gegangen, um für sich und seinen kleinen Bruder Zigaretten zu holen.
Als hätten wir uns nicht verändert, dachte Abraham, aber das hatten sie, und es war an der Zeit herauszufinden, inwiefern sie sich verändert hatten. Sie beide.
»Ich war einigermaßen überrascht, als du mir diese Adresse hier nanntest. Noch mehr, als ich erfuhr, dass du hier alleine lebst. Dass das mit dir und Erin vorbei ist.«
»Das kommt davon, wenn man sich nur mal alle Jubeljahre meldet«, neckte ihn Abraham.
»Ja, gib’s mir, ich hab’s verdient. Ernsthaft: Wie konntest du diese Hammerfrau nur gehen lassen?«
»Vielleicht bin ich ja gegangen. Oder wir beide: im gleichen Moment.«
»Du bist sicher, dass du sie nicht betrogen hast?«
»Nur falls mein Körper an Alzheimer leidet. Es gab nie einen Grund für mich, Erin zu betrügen. Wenn es nur das wäre … es ist geschehen, es geschieht jeden Tag allen möglichen Leuten, ich weiß, das klingt so scheiße, wie es ist. Sicher hatte es mit meiner Arbeit zu tun … ja, ganz bestimmt.« Als er das sagte, verdüsterte sich seine Stimmung einen Moment lang, weil er an das dachte, was er verloren hatte … und darüber hinaus: sein Vater – ein Mörder; seine Mutter – eine Selbstmörderin; Erin – die ihr Leben ohne ihn lebte, und Robert – verschollen und wieder aufgetaucht, aber für wie lange. Ein Fingerschnipsen lang? Ein Blinzeln?
Abraham dachte, dass er irgendwann alle Menschen, die ihm etwas bedeuteten, verlor.
Robert legte seine Hand auf Abrahams Schulter, wie immer las er in ihm wie in einem offenen Buch.
»Du bist der integerste Mensch, den ich kenne, Kleiner. Ich bewundere deinen inneren Kompass – er zeigt immer in die richtige Richtung.«
Abraham legte seine Hand auf die seines Bruders; es war, als erneuerten sie ihre Bande.
»Das, was ich bin, bin ich durch dich«, sagte er, aber natürlich war das nur die halbe Wahrheit. Denn ein anderer Teil von ihm war durch das Messer eines Mörders geprägt, dessen Blut in seinen Adern lief.
»Du warst mein Felsen«, sagte Abraham.
»Du bist mehr Felsen, als ich jemals sein werde, Frank. Lass gut sein, der Heldenstatus bekommt mir nicht.«
Das war es, dachte Abraham, sie näherten sich nun nach und nach dem Kern all der Fragen, Gerüchten, Vermutungen, die er in den letzten Jahren über seinen Bruder angestellt hatte. Und es gab einen Grund, weswegen Robert so plötzlich wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Nichts geschah einfach so, und Robert war nicht sentimental genug, um einer diffusen Sehnsucht nachzugeben und seinen kleinen Bruder mal eben so zu besuchen.
»Ich schätze, du bist nicht wegen ihm gekommen, oder?«
»Daran hast du wohl zuerst gedacht?«
»Ich habe dich bislang nicht danach gefragt.«
Robert lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nein. Nicht wegen unseres Vaters.« Er sah so etwas wie Enttäuschung in Franks Augen. »Du hast diesen Mistkerl immer noch nicht abgehakt.«
»Du etwa?« Erzähl mir nicht das Gegenteil, Robert.
»Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Kleiner. Ich jage dem Kerl nicht hinterher … aber du … in all den Killern, die du jagst, spiegelt sich sein Gesicht wider.«
»Sagt der große Psychologe.«
»Ja … ja, der bin ich. Zumindest in Familienangelegenheiten.«
»Das heißt dann wohl, dass du nicht mitkommst.«
»Frank, keiner verlangt von dir, dich um ihn zu kümmern.«
»Ich kümmere mich nicht um ihn … sehe ich aus wie seine Krankenschwester? Ich dachte, du hättest Fragen an ihn … bevor er diese Welt verlässt.«
»Hast du sie denn? Und wenn, wieso hast du ihn nicht in den letzten
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