Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
gestürzt und dabei gestorben. Polly, bitte, das macht ihn noch nicht zu einem Serienkiller.«
Sie wandte ihren Blick nicht ab, sondern intensivierte ihn. So hatte er sie noch nie erlebt. So entschlossen.
»Du hast mich belogen.«
»Das kannst du so nicht sagen … es hat doch nichts mit uns zu tun. Das alles hier … ja, Beck ist ein harter Hund, und er ist vielleicht auch unheimlich, aber was du da erzählst …«
»Es ist hier drauf. Und das ist nur eine Aufnahme, eine von vielen. Jede berichtet von einem Mord. Christian, dieser Mann ist ein Massenmörder.«
»Das vermutest du doch nur … und wir sind schließlich auch keine Engel, Kleines.«
Sie lachte bitter. »Was redest du da nur? Vergleichst du unsmit IHM.« Sie schüttelte ernüchtert den Kopf und wollte aussteigen, aber Mevissen hielt sie zurück.
»Was hast du denn vor?«
»Zur Polizei gehen.«
»Tu das nicht.« Er griff in ihr Haar und zog sie an sich, tat ihr dabei unabsichtlich weh, bedeckte ihr Gesicht mit seinem.
»Wovor hast du Angst, Christian?«
»Dich zu verlieren, uns zu verlieren, und genau das wird geschehen, wenn wir zu den Bullen gehen.«
»Zurück zu ihm können wir auch nicht. Er wird bemerkt haben, dass die Kassette fehlt, und er wird wissen, wer sie ihm gestohlen hat. Und was glaubst du, wird er tun?«
»Hör mal … ich rede mit ihm.«
»Das ist verrückt.«
»Beck wird mir nichts tun …«
»Woher weißt du das? Wie kannst du dir so sicher sein?«
»Gib mir die Kassette, ich bringe sie zurück. Vielleicht hat er ja noch gar nichts bemerkt.«
»Und falls doch?«
»Dann gebe ich sie ihm. Ich sage: Hey, was du in deiner Freizeit tust, ist deine Sache, sie hat nichts mit uns zu tun.«
»Du solltest dich mal reden hören«, sagte Polly. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht.
Mevissen wollte sie umarmen, das half immer, aber sie schob ihn weg, schuf Distanz zwischen sich und ihm, schuf einen leeren Raum.
»Hör zu«, sagte Mevissen, »das Geld, das wir für den Schmuck bekommen haben, wird uns eine Zeitlang über Wasser halten. Wir können damit Berlin verlassen. Du wirst Beck nie wiedersehen, versprochen. Aber die Kohle ist in seiner Wohnung. Ich will unseren Anteil haben, und ich werde hier nicht ohne ihn weggehen. Von mir aus rufen wir die Bullen später anonym an und hetzen sie ihm auf den Hals, okay?«
»Bis dahin hat er alle Beweise weggeschafft, hältst du ihn für so dumm?«
»Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll«, rief Mevissen gereizt. Er stieß seinen Finger gegen die Kassette.
»Oder was ich davon halten soll. Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.«
»Dann komme ich mit …«
»Nein.«
»Nein?«
»Angenommen, es stimmt alles, dann ist es besser, wenn du dich von ihm fernhältst.«
»Dann ist er doch gefährlich.«
»Ich passe auf mich auf.«
In der Rathausstraße am Alexanderplatz gab es ein Internet-Café, in dem er Polly absetzte.
»Gib mir eine Stunde, wenn ich mich dann nicht melde, ruf die Bullen. Aber komme nicht selbst und schon gar nicht alleine.«
Sollte er noch sagen: Ich liebe dich? Sie wusste es doch. Es würde zu melodramatisch klingen. Zu endgültig. Wie der Abschied eines Todgeweihten.
Mevissen stieg in den Renault und fuhr davon.
Etwas in Polly sagte ihr, dass sie ihn nicht wiedersehen würde. Es war dieselbe Stimme, die sie davor gewarnt hatte, sich in die obere Wohnung zu begeben.
Polly fand einen Platz in der hintersten Ecke, meldete sich an und ging online, da sie das Café ansonsten wieder hätte verlassen müssen. Reglos starrte sie eine Zeitlang auf den blinkenden Cursor. Mit einem Mal kam ihr ein Gedanke, scharf und angsteinflößend, und sie ging auf die Webseite der Berliner Kriminalpolizei. Auf einer der Seiten waren die ungeklärten Todesfälle der letzten Monate aufgeführt. Polly suchte nach einem vollständigen Namen, von dem sie nur den Vornamen wusste. Edda.
Sie wurde fündig.
Edda Markowitz; in ihrer Wohnung ermordet.
Da war ein Bild der Frau, ein Gesicht, ein Ausdruck jenseits des Entsetzens, den Polly in der aufgezeichneten Stimme im Moment ihrer Ermordung vernommen hatte. Auf dem Foto, das neben den Daten ihres Lebens, der Beschreibung ihrer Person und den Umständen ihrer Ermordung, aufgeführt war, sah sie mutlos und bitter aus; grauenhafterweise entsprach ihr Äußeres genau den Beschreibungen und Anmerkungen, die Beck über sie gemacht hatte. Er hatte von ihr gesprochen, nur nicht mehr von einer Lebenden. Denn für ihn war sie
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