Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
schon vom ersten Moment ihrer Begegnung an ein totes Bündel. Er musste es nur noch zusammenschnüren.
Sie wählte Mevissens Handy an, aber er nahm nicht ab. Sie versuchte es wieder. Er nahm nicht ab. Sie unterdrückte den Schrei, der sich schon auf den Weg gemacht hatte, und sank stattdessen völlig mutlos und erledigt auf ihrem Platz zusammen. Und wie immer nahm keiner der anderen Notiz von ihrem Zustand.
KAPITEL
NEUNUNDDREISSIG
Beck war nicht in seiner Wohnung, als Mevissen zurückkam.
Die Kassette in seiner Hosentasche fühlte sich wie ein atomarer Brennstab an. Er berührte das Springmesser in der anderen Tasche wie einen Talisman (und war dieser nicht auch schon mit dem Blut eines Wolfes getauft?), aber es beruhigte ihn kein bisschen. Sein Handy vibrierte, er hatte es extra stumm geschaltet, um sich nicht vorzeitig zu verraten.
Anhand der gespeicherten Nummer sah er, dass es sich um Polly handelte, die ihn anrief, die bestimmt wissen wollte, wie es ihm ging.
Nicht jetzt, Kleines, dachte er, nicht jetzt.
Vor Polly hatte er es nicht zugeben wollen, doch hier, in dieser kalten, finsteren Stille, konnte er sich selbst nicht weiter belügen. Er hatte Angst. Er hatte Angst, weil er tatsächlich wusste, dass Beck krank war. Ein sehr kranker Mann. Damals schon. Inzwischen musste sich sein psychischer Zustand erheblich verschlimmert haben.
Damals, dachte er, bist du einfach davon gelaufen, obwohl dir klar war, woraufhin Beck steuern würde.
Der letzte Einbruch.
Die alte Frau.
Die Feuer.
Der Hass.
Hast dich feige verzogen, weil dich niemand außer dir selbst interessiert hat. Du hast ihm all diese Menschen preisgegeben, dachte er weiter.
Das kannst du niemals wieder gutmachen.
Trotzdem war er hier, um sich ihm zu stellen. Um es von Beck selbst zu hören. Um die Kassette abzuspielen, ihn dazu zu zwingen, auch alle anderen abzuspielen. Um Gewissheit zu kriegen. Polly verstand dies nicht. Er war nur froh, dass sie nicht hier war, in Gefahr. Ja, dachte er, in Gefahr, denn Beck war ein gefährlicher Mann. Weil er anders war. Noch viel mehr als Mevissen. Anders als alle anderen Menschen. Und dann? Was dann?
Er hätte auch einfach nach der Kohle suchen und abhauen können. Wie früher.
Die obere Wohnung war nicht abgeschlossen. Mevissen betrat sie vorsichtig und erschrak angesichts der Dunkelheit und des Gestankes. Das Licht im Treppenhaus hielt nicht lange an und deshalb steuerte er, nachdem er sich ein wenig orientiert hatte, direkt auf den Wandschrank zu. Die Kassetten lagen tatsächlich dort immer noch, so als warteten sie auf ihn. Auch das Abspielgerät war da. Bislang hatte ihm Polly also die Wahrheitgesagt. Der Rest würde sich jetzt zeigen. Wenn es nur nicht so dunkel hier wäre. Das Licht im Treppenhaus ging in dem Moment aus, als er die Aufnahme, die ihm Polly überlassen hatte, abspielte.
So hörte er Becks Stimme genau dort, wo sie hingehörte und herkam, so wie der ganze Mann: wenn nicht aus der Hölle, dann doch immerhin aus der tiefsten Finsternis.
Mevissen stand da und lauschte Becks Worten wie einem abgründigen Evangelium, strudelte in diesen Worten, versank in ihnen wie in Fluten, versank darin so sehr, dass er nicht mitbekam, wie jemand den Raum betrat, wie da einer durch die Dunkelheit schlich, sich an ihn heranschlich, bis sich ein Gesicht aus der Nacht der Worte herausdrückte und Lippen sich in einer grotesken Parodie dazu bewegten, wiederholten, was gesagt und – mehr noch – was getan war.
Mevissen stieß einen Fluch aus, als er Becks unheimliche Anwesenheit bemerkte, und stolperte zurück.
Zu spät, um noch davonzukommen.
Aber das hattest du ja auch nicht vor, dachte er. Stattdessen sagte er: »Es ist also wahr? Du hast all diese Frauen ermordet.«
Er erhielt keine Antwort.
»Willst du nicht mit mir darüber reden, Magnus? Um der alten Zeiten willen.«
Schweigen in einem schwebenden, stummen, verzerrten Gesicht.
»Wir könnten eine Lösung finden. Hör zu, ich will nur meinen Anteil holen …« Er glaubte sich selbst kein Wort, wieso sollte ihm also Beck glauben?
Beck schnalzte mit der Zunge, seine Kiefer mahlten und kauten, und er hatte jetzt wirklich Schwierigkeiten, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Ein anderer stieg die Kellertreppe zu ihm hoch. Seine Schritte hallten durch seinen Kopf. Jemand wimmerte, um gleich darauf zu verstummen. Das Geräusch kam aus Beck, aber der tat so, als hätte er es nicht gehörtund schon gar nicht von sich gegeben. Ein
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