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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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es, ihr zuzuhören, selbst aber verschlossen zu bleiben. Dann die obligatorische Frage.
    »Was machst du hier?«
    Er hätte ihr so ziemlich alles erzählen können. Darin war er gut. Aus einer Laune heraus sagte er:
    »Ich bin Literaturdozent und auf einem Symposium.«
    Was Lise zum Lachen brachte.
    »Nie im Leben«, sagte sie. »Nicht hier. Das Einzige, was die Leute hier lesen, sind die Auszüge ihrer Wertpapierdepots und Geldanlagen. Hier gibt’s zwar Zeichen und Wunder, aber keine Sprache dafür.«
    »Vielleicht will ich einfach nicht die Hoffnung aufgeben, die Barbaren hier zu bekehren … Kafka, Grass, Böll.«
    Sie beugte sich über ihn, biss ihm in die Schulter, knurrte verspielt.
    »Alle tot … na ja, außer Grass … und für die Leute hier sind wir die Barbaren. Die Chinesen behaupten ja, dass sie alles Wesentliche bereits vor uns erfunden haben. Vielleicht stimmt das sogar.«
    Sie liebten sich erneut, hier am Ende der Welt oder ihrem neuen Anfang, es war egal. Als er am Morgen wach wurde, war Lise nicht mehr da, hatte ausgecheckt und ihm nicht mal eine Nachricht hinterlassen. Ihre Spur verlor sich inmitten der Zeichen und Wunder, für die es keine Sprache gab.

KAPITEL
SECHS
    Das war Hongkong gewesen, gestern.
    Und das hier war London, heute.
    Die Männer in der Arena umkreisten einander; ein großer massiger Farbiger und ein zäher kleiner Kerl mit rötlichen Haaren und ungesunder Haut. Die Kukris halb erhoben, auf Brusthöhe, ungeschickt balancierend, erste Schläge austeilend, die die Luft vor ihren Gesichtern zerteilte. Ein Raunen ging durch die dunkle Masse, in der sich auch Robert befand. Unter dem wachsamen Blick Nagys.
    Der Kleine tänzelte hektisch, während der Große sich unsicher bewegte, seine Schritte schwer und zäh, als steckte er in Treibsand. Sie warteten auf ein Zögern, auf eine falsche Bewegung des jeweils anderen.
    Sie alle warteten darauf.
    Mit jeder weiteren Sekunde stieg die Spannung, die wie Elektrizität in der Luft hing, ein dünnes Sirren, ein weißes Rauschen, und eine fremde, beunruhigende Hitze stieg in Robert auf. Er wusste, er durfte nicht zulassen, dass diese Hitze seine Augen erreichte und seine Angst verriet. Man sagte, dass Nagy die Angst an einem roch wie manche Hunde Krankheiten. Er wagte es deshalb nicht, seinen Blick von dem Geschehen abzuwenden. Diesmal würde es schlimmer werden, viel schlimmer. In der Arena explodierte die aufgestaute Gewalt in einem Schrei, den der Rothaarige ausstieß, als die Panik seinen Kopf erreichte und sich ein roter Nebel über seine Augen legte. Er stürzte plötzlich blindlings vor, beendete das Geplänkel und hieb auf den Farbigen ein, der einen Moment zu lange überrascht war. Ein Profi hätte den Rothaarigen abgeblockt und aufgespießt, aber hier gab es weit und breit keine Profis, nur verzweifelte Männer.
    Die Klinge des Kukris schrammte an seiner breiten Brust entlang und färbte sie rot. Der nächste Schlag, der folgte, trenntedem Mann beinahe den ganzen linken Arm ab, den er schützend vor sein Gesicht gehoben hatte. Den Kukri in der anderen Hand ließ er achtlos zu Boden fallen. Robert wusste, dass der Kampf damit beendet war, dass jetzt nur noch der grausige Abschluss des Spektakels fehlte. Neben ihm lachte Nagy amüsiert, enthielt sich aber eines Kommentares, im Gegensatz zu der Menge, durch die eine Welle der Gewalt ging und sie zum Beben brachte, zum Johlen und Grölen. Die Kameraleute hielten weiter gnadenlos drauf. Der große Mann starrte wie benommen auf seinen nur noch von einen abgesplitterten Stück Knochen und einem Fleischstrang gehaltenen Arm.
    Er rief: »Ich brauche einen Arzt.«
    Die Zuschauer brüllten ihn nieder. Robert blieb stumm. Er wagte nicht zu atmen. Sein Herz raste.
    »Bitte«, sagte der verletzte Mann, und er sagte dies so nüchtern und sich seiner Lage bewusst, dass sich alles in Robert zusammenkrampfte. Die Todgeweihten, dachte er, die Todgeweihten grüßen euch.
    Der schwere Mann plumpste auf den Boden. Er stöhnte tief und grollend. Robert sah zu dem schäbigen Arzt hinüber, der seinerseits einen kurzen Blick auf Nagy warf und sich, als von diesem keine Reaktion erfolgte, wieder hinter Meldungen über das Königshaus und dem neuesten Promiluder verschanzte.
    Eine Stimme aus dem Dunkeln rief ungeduldig: »Du weißt, wie’s läuft, Freundchen, bring die Sache zu Ende und wir können alle nach Hause.«
    Wen meinte die Stimme: den Schwerverletzten, dessen Blut den Boden der Arena tränkte, oder

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