Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
seinen Gegner, den Rothaarigen, der seit dem vernichtenden Schlag wie in Trance einfach dastand, den blutverschmierten Kukri in seiner verkrampften Hand?
Der kleine Mann drehte sich zu den Lichtern hin, die Kameras drangen wie Fäuste auf sein Gesicht ein.
Erneut rief der Farbige einen Namen. Robert hörte »Jocelyn« heraus. War das der Name seiner Frau? Geliebten? Seiner Schwester? Dachte irgendeiner darüber nach, oder war er der Einzige?
»So ein starker Bursche«, hörte Robert Nagys metallische Stimme an seinem Ohr, »die meisten haben ihr Geld auf ihn gesetzt. So kann man sich täuschen.«
Nagy fragte den Mann neben sich, offenbar denjenigen, der die »Veranstaltung« organisierte, wo der Kerl herkam.
»Aus Brixton, Sir«, kam die prompte Antwort. »Der Typ ist eigentlich ein bekannter Schläger, hat insgesamt sechs Jahre in Pentonville verbracht, ein harter Hund …«
»Das sind sie alle, bis sie entdecken, wie viel Blut in ihrem Körper ist. Sehen Sie, er wird immer schwächer … gleich legt er sich hin.«
Nagy schnipste mit den Fingern, es klang wie ein Peitschenhieb im Staub und in der plötzlichen Stille, die sich wie ein Sargdeckel auf sie alle legte. Das Geräusch holte den Rothaarigen aus seiner kurzzeitigen Abwesenheit heraus. Er hatte einen Menschen verletzt, ihm fast den Arm abgetrennt, und das war eine neue Erfahrung für ihn. Bislang hatte er sich mit Betrügereien durchs Leben geschwindelt und war meistens davon gekommen. Er glaubte, sogar übers Wasser gehen zu können, bis er den falschen Leuten Geld schuldete und diese sich daraufhin seine Schwester schnappten und als Pfand hielten, das auszulösen er sich verpflichtet hatte. Das hatte ihn an diesen Ort geführt; nun, hier war das Ende der Fahnenstange erreicht, das Ende aller Täuschungen, und jetzt würde er die nächste Erfahrung machen – einen Menschen, mit dem ihn nichts verband, zu töten –, und sie würde alles in ihm verändern.
Niemand kam hier ungeschoren davon, begriff Robert.
Nagy flüsterte seinem Nebenmann etwas ins Ohr. Der rief daraufhin: »Köpfe das Arschloch und dein Gewinn wird verdoppelt.«
Nagy sagte zu Robert: »Er wird mehr als einen Hieb benötigen. Was meinst du, Robert. Hältst du dagegen?«
»Nein«, sagte Robert.
Der Rothaarige schaute auf die Waffe in seiner Hand und blinzelte hektisch. Er fragte sich einen Augenblick lang, ob er das alles hier nicht träumte und ob ihm im Traum nicht irgendjemand die Waffe in die Hand gedrückt hatte. Sie und er passten so gar nicht zueinander, aber jetzt würde sie als Verlängerung seiner Entschlossenheit dienen müssen. Und er dachte an Samantha, die in einem dreckigen Hinterzimmer eingesperrt war und auf ihn wartete. Das war kein Traum, wusste er, und so kam er wieder zu sich und seine Finger schlossen sich fester um den Griff der Waffe und er trat einen Schritt zu dem am Boden sitzenden großen Mann vor.
Im grellen Licht sah das Blut um ihn herum schwarz aus.
»Tu das nicht, Bruder«, sagte er und sah den Rothaarigen an, als ihm dieser die scharfe Klinge des Kukri an den Hals drückte.
»Komm mir nicht auf diese Tour, Kumpel, das läuft nicht, du würdest das Gleiche mit mir abziehen«, sagte der Rothaarige mit irischem Akzent.
Er holte zum Schlag aus. Da war kein Zögern mehr.
Robert wollte sich endlich abwenden, er hatte das Gefühl, nicht mehr der Menschheit anzugehören, wenn er weiter zusah, aber genau auf diese Reaktion spekulierte Nagy, deshalb hatte er Robert hierher bestellt und ihn in diesen Kreis der Hölle aufgenommen, und also gab es auch für Robert Abraham kein Entkommen, und deshalb sah er, wie die Augen des Farbigen ganz klein wurden und seine dunkle Haut ganz grau, und obwohl er nicht älter als Anfang dreißig sein konnte, war er, als die Klinge sich seitlich in seinen Hals grub, auf einmal uralt, erst eine Million Jahre, dann eine Milliarde, und dann war nichts mehr.
Draußen regnete es. Sie verzichteten auf die bereitgestelltenRegenschirme und wurden nass. Robert dachte, dass selbst tausend Jahre Regen die Scham und die dumpfe Leere in ihm nicht wegzuspülen vermochten. Er hatte sich noch nie zuvor so schmutzig gefühlt. Der teure Anzug, maßgeschneidert in Italien, stank nach Schweiß und Schuld.
Robert und Bela Nagy standen am Rande der Lagerhalle, aus der die beiden Toten der Nacht entfernt wurden; ihre Körper würden im Gefüge der riesigen Stadt einfach verschwinden, auf Jahre hinaus vergraben unter einem Neubau, in Beton
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