Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Truppen vor Stalingrad fiel. Nach dem Krieg war man trotzdem auf Seiten der Sieger und wechselte einfach von rechts nach links. Der junge Bela wurde noch vor dem Sturz der Sowjetunion nach Moskau geholt, in den KGB, und lernte dort das Handwerk der Henker und Verräter, ohne den überflüssigen Ballast von Moral, Anstand, Empathie. Solche Männer, Macher, Lenker brachten es in der postsowjetischen Welt, die sich wie eine alte erschöpfte Hure von ihren kapitalistischen Freiern ohne Pause, ohne Gnade besteigen ließ, ganz nach oben. Sie verbündetensich mit Geschäftsleuten, organisierten deren Schutz, beseitigten Konkurrenten, wurden beteiligt, machten Geld, übernahmen selbst das Ruder – ja, und manche von ihnen endeten sogar als Präsident einer Atommacht.
Alles davon stimmte.
Nichts davon war wahr.
Nur eines stand fest: Bela Nagy, Anfang sechzig, ein überraschend kleiner, zerbrechlich wirkender Mann, liebte die Gewalt. Sie war ein essentieller Bestandteil seines Selbstverständnisses. Auch wenn er selbst nicht mehr Hand an seine Gegner legte, war er immer noch bereit, jede Grenze zu überschreiten, um die verbotenen Ländereien der Nacht zu betreten. So wie sich in vielen von uns Güte und Mitleid finden, ohne die diese Welt nichts wäre als Wüste, Ödnis, Finsternis, existiert in anderen ein Verlangen danach, zu zerstören, die Welt in Brand zu setzen, um die Hitze des Feuers auf der Haut zu spüren – die Hitze einer anderen, dämonischen Sonne, die gleiche, die Robert da drinnen gespürt hatte. Er wusste, er würde diesen Ort hier und das, was er an ihm gesehen hatte, nie mehr vergessen; er war bereits jetzt schon Bestandteil seiner künftigen Albträume.
»Wieso hast du mich hierher bestellt?«, fragte Robert.
»Ich wollte dich einweihen … vielleicht sehen, wie du reagierst.«
»Und, wie habe ich mich gehalten?«
»Wie jemand, der partout keine Schwäche offenbaren wollte. Wie ein Mann aus Stein.«
Ja, mit Fieber im Blut, Fieber im Kopf, dachte Robert, verbrannt von dunkler Hitze, infiziert von dem Ekel der Gewalt, der er sich doch nicht entziehen konnte in der Gegenwart dieses Mannes.
Er erinnerte sich wieder daran, wie er Nagy begegnet war … nein, vielmehr war Nagy ihm zugestoßen: in Form eines Konglomerats von Baufirmen, die seine eigenen Preise und Löhne unterbotenund Robert so unter Druck setzten. Die Botschaft war klar: Zieh dich zurück, überlass uns den Potsdamer Platz. Aber wie alle anderen auch blickte Robert in die gigantische urbane Wüstenlandschaft, die im Scheinwerferlicht und umgeben von unzähligen Baukränen wie eine andere geheimnisvolle Welt wirkte, und wie alle anderen auch sah er die Krater darin, die mit Geld und Aufträgen gefüllt waren. Er machte wider besseres Wissen weiter und zahlte drauf, zahlte in jeder Hinsicht drauf. Schwamm mit den Haien, ohne zu merken, dass er bereits blutete und die Räuber sich um ihn drängten. Leute von ihm wurden abgeworben. Nicht nur mit Geld und warmen Worten, wie er heute wusste. Andere erlitten »Arbeitsunfälle«. Robert besorgte sich daraufhin Schwarzarbeiter. Seine unbekannten Gegner hetzten ihm die Behörden auf den Hals. Roberts Firma schmolz in der Hitze der Auseinandersetzungen wie Butter in der Sonne. Gib auf, sagten sie ihm, am Telefon.
Aber er war der Felsen. Arrogant und maßlos in seinem Ehrgeiz, in seiner schieren Unverwundbarkeit redete er sich selbst ein, keine Hilfe zu benötigen. Er sah alles als eine Herausforderung an und erkannte nicht den Ernst der Lage, in der er sich befand.
Die andere Seite spielte nicht mit fairen Mitteln. Das tat sie nie.
Er hielt Frank aus der Sache heraus; er würde ihn nicht kompromittieren, niemals. Aufträge brachen weg, wurden gekappt, schon erteilte Zuschläge verweigert, das Finanzamt ermittelte, das Ordnungsamt, er wurde angezeigt, die Rückstellungen, die Schulden … zum Schluss saß er am Fenster seines Büros und sah zu, wie sein Leben in Kartons verpackt und abtransportiert wurde.
Geschlagen, nein mehr: vernichtet.
Genau auf diesen Moment der Leere wartete Bela Nagy, erst dann trat er aus dem Dunkel heraus.
Robert lieh sich Geld, um seine Mitarbeiter abzufinden. Wenigstensdas. Von seinen Banken erhielt er schon lange nichts mehr, also nahm er es aus den Händen von Menschen, die sich fest um seine schlossen und nicht mehr freigaben.
Es war das Geld der Leute, die ihn zuvor ruiniert hatten.
Und da er es nicht zurückzahlen konnte, verpflichtete er sich auf andere
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