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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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weniger abschleppen. Fast anderthalb Jahrzehnte jünger als er, eine IT-Spezialistin mit Abschluss am MIT, wie er fremd und nur für kurze Zeit hier als Repräsentantin eines amerikanischen Konzerns, Typ globale Netzwerkerin. Schwarze Slim-Pants, schwarzes Top, Ankle-Boots, dezenter Schmuck. Lise.
    (»Bloß keine Nachnamen«, sagte sie, »die versauen nur alles.« Was Robert auch fand.)
    Ihr Gesicht voll und rund, ihre Stimme dunkel, ihr Lachen sehr sexy und gehaltvoll.
    Sie kamen schnell voran, verzichteten auf ein ausgiebiges, langsames Vorprogramm, ihre Körper drangen ungestüm aufeinander ein. Lise mit ihren großen festen Brüsten, laut und sich verausgabend, so dass er ihr um der Nachtruhe der anderen zuliebe den Mund zuhielt, als sie kam. Robert entsorgte anschließend das Kondom in der Toilette, danach duschten sie zusammen, hielten dabei einander fest, ihre Blicke schweigend über den anderen streifend, ein Übermaß an Intimität, das ihn verstörte. Er war davon ausgegangen, dass sie danach auf ihr Zimmer ging, stattdessen lag sie neben ihm, klaute ihm eine Zigarette und verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis zu reden.
    »Vor zwei Jahrhunderten war das hier nichts anderes als Felsen, Sand und Meer. Das Ende der Welt. Heute ist es der Anfang von allem … ich könnte stundenlang auf all diese Lichter starren. Ich war mal auf dem Mullholland Drive, wenn du nachts von da oben auf Los Angeles runterblickst, dann siehst du einen unendlichen Teppich aus Lichtern, Gitterstäben gleich, und du denkst: Wow, hier sitzt das Geld, die Macht, das ganze Kapital konzentriert sich auf dieses Stück Wüste, Ströme aus Licht, aus Gold. Europa ist weit weg. Ich war schon länger nicht mehr drüben. Es heißt jetzt überall, dort gehen die Lichter aus.«
    »Nicht überall«, sagte Robert. »Und auch nicht so schnell.«
    »Ich glaube, dass Lateinamerika in ein paar Jahren das nächste große Ding wird. China ist zu groß, zu viele Menschen mit den gleichen Bedürfnissen und Wünschen. Auf Dauer wird das hier böse kollabieren. Die Karawane wird weiterziehen.« Das Kapital, der Fortschritt, dachte Robert.
    »Gibst du mir Feuer?«
    Sie rauchten und stießen den Rauch gen Decke, wo sich dieser langsam sammelte und zu verharren schien wie ein ungebetener Gast, der sich weigerte, die Party zu verlassen.
    Lise sagte: »Es heißt hier, in bestimmten Nächten kann man in einer gewissen Stimmung die Vergangenheit des jeweils anderen im Zigarettenrauch lesen. Wie in einer Art Geisternebel. Die Menschen hier sind furchtbar abergläubisch.«
    Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Achsel.
    »Erinnerst du dich an deine Jugend?«
    »Ja, die ist aber schon länger her als bei dir. Die Tage verlieren merklich an Farbe, aber die Konturen sind noch zu erkennen«, sagte Robert. Leider, dachte er. Denn er erinnerte sich an beinahe alles – vor allem an die Zeit, als Frank und er in die Nacht geschleudert wurden … und an ihren Kampf danach, nicht zu zerbrechen. Aber das war keine Gute-Nacht-Geschichte für jetzt. Lise kicherte und schlängelte ihre Hand an seiner Brust hinunter und zwischen seine Beine.
    »Mach dich nicht älter, als du bist, großer Junge.«
    Er reagierte automatisch auf ihre Liebkosung, was ihr ein erneutes Kichern entlockte.
    Sie erzählte:
    »Dänemark ist so scheißklein, du wächst dort auf und nichts geschieht dir, nichts passiert, du willst einfach nur raus. Ich habe meine ganze Jugend lang die Flucht geprobt – erst mit Kerlen, dann mit Drogen, Partys, das waren endlos verlängerte Sommer. Aber gleichzeitig war es ein Leben ohne Risiko: Du fällst, und du weißt, es sind genug Netze vorhanden, die dich auffangen. Das wollte ich nicht. Ich wollte sehen, ob ich’s auch packe, wenn unter mir nichts als der harte, blanke Boden ist.«
    Also eine Geschichte vom Fallen, dachte Robert. Damit kannte er sich aus, er wusste, was es bedeutete zu stürzen. Sein Sturz hatte ihn unter anderem auch hierhergeführt.
    »Ich bin überall fremd, und es macht mir nichts aus. Ich will so leben, keine Bindungen, keine Kompromisse«, sagte sie, dochRobert, der die letzten Jahre unter professionellen Lügnern und Täuschern verbracht hatte und der selbst einer war, hörte die Unsicherheit und Frustration aus ihrer Stimme heraus. Nähe, Vertrauen; wir merken erst, wie hundeelend allein wir sind, wenn wir uns völlig Fremden offenbaren, Gesichtern, die wir morgen schon vergessen haben. Robert hatte sich bislang zurückgehalten. Er mochte

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