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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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Abschied in der Nacht fühlte er sich trostlos und leer wie der Himmel über ihm, und er wankte missmutig nach Hause und hätte am liebstenan der Schwelle kehrtgemacht, um zu ihr zurückzulaufen.
    Er erinnerte sich, dass selbst die Erwähnung ihres Namens durch andere ihm ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Und bei diesen Gelegenheiten war es das einzige Mal, dass man ihn lächeln sah. Seine Sehnsucht umkreiste ihre Gegenwart wie ein Satellit; selbst Sputnik war ein Scheiß dagegen.
    Und die harten, verrohten Kerle aus den Vorstädten, den Dörfern, die Arbeiter und Bauernburschen, die mit ihm zur Armee gingen, verspotteten ihn, weil sie jung und stark und in erster Linie an Busen und Hintern, Hüften und langen Beinen interessiert waren. Aber heimlich und einzeln erzählten sie Grischa, dass es ihnen doch genauso ging: die Hoffnung, dass die Mädchen auf einen warteten, bis man zurückkam. Ohne die Liebe einer Frau wären sie alle irgendwann durchgedreht.
    Die Armee.
    Seine Entscheidung dorthin zu gehen, zu dienen, entsprach nicht einem ausgeprägten Sinn für Patriotismus. Vielmehr wusste er instinktiv, dass die Anlagen, die in ihm waren, eine Art innerer Ausnahmezustand, die Befriedigung, die es ihm verschaffte, Gewalt auszuüben, sein Jagdinstinkt, dort in geordnete Bahnen gelenkt würden. Im Gegensatz zu den anderen Rekruten hatte er keine Anlaufschwierigkeiten, die Hemmschwelle, einen anderen Menschen als Ziel anzusehen, zu überwinden. Und weil das auch seine Ausbilder erkannten, blieben ihm die sadistischen Erniedrigungen, denen sich seine Kameraden ausgesetzt sahen, weitgehend erspart.
    Man behielt ihn im Auge.
    Als eine lose, herumstreunende Waffe kam er zur Armee, und er verließ sie als ein perfekter Killer. Dazwischen lag Tschetschenien. Das Schärfen der Waffe.
    Von alldem wusste Larissa nichts. Er erzählte ihr auch nichts von Grosny, von den Ereignissen dort und seiner Rolle dabei.Was sie in den Nachrichten sah, genügte, um ihre Phantasie aufs Dunkelste anzukurbeln.
    Es gab Dinge in ihm, die besser unausgesprochen blieben.
    Und es gab Albträume.
    Zitternd, schweißgebadet fand er sich dann in der beruhigenden Gewissheit ihrer Gegenwart wieder, wenn die Erinnerung an Grosny ihn aus ihren Klauen entließ. Sie verfolgte ihn bis in sein Unterbewusstsein – ein Film, den er so oft vor seinem inneren Auge sah, dass er zum Klassiker wurde. Er war ein Bewohner dieser Stadt geworden – dazu verdammt, ihren Untergang, den er mit herbeigeführt hatte, wieder und wieder durchzumachen.
    Grischa öffnete die Balkontür. Moskau lag zwanzig Stockwerke unter ihm, vor ihm das, was die Amerikaner eine Skyline nannten; nun, für ihn war sie nur ein steinerner Scheißhaufen. Masse und Macht und von allem zu viel. Der Gott der Winde offenbarte sich und fuhr durch seinen alternden Körper, schüttelte sein Knochengerüst durch, kniff schmerzhaft in sein Fleisch.
    Erinnerte ihn unerbittlich daran, dass er noch lebte.
    Im Gegensatz zu ihr.
    Wieso musste Larissa jahrelang gegen eine Krankheit kämpfen, die sie am Ende dann doch aufs Grausamste umbrachte, während er, ein professioneller Todesbringer, stolz darauf war, seine Ziele nicht leiden zu lassen? Was der Krebs ihr antat – sie aufs Gründlichste zu zerstören und vom Antlitz dieser Welt zu tilgen –, erledigte er binnen Sekunden mit einem Schuss ins Auge, einer platzierten Bombe, einem Messerstich ins Herz.
    Fünf Jahre; Larissas Körper war längst zerfallen, nicht jedoch die Bilder von ihr. Er trug sie in seiner Erinnerung, in seinem Herzen, sie lebte dort weiter bis zu dem Tag, an dem auch er verschwinden würde, um ihr jenseits der Zeit erneut zu begegnen. Es gab Fotografien, die sie zusammen zeigten, sie lagenirgendwo in Schränken unter ihrer Wäsche, die er nicht entsorgt hatte, obwohl sie jetzt alt und muffig roch und nicht mehr nach ihrem Körper wie zu Anfang noch. Aber diese Fotos bedeuteten ihm nichts mehr. Er war nur zu müde und zu traurig, um sie wegzuwerfen oder zu verbrennen.
    Er erinnerte sich noch genau an die Leere der ersten Zeit.
    An die leere Wohnung.
    An das leere Bett.
    Ihr Körper lag unter der Erde und verweste, verging, zerfiel. Er konnte nicht schlafen. Wenn er es doch versuchte und dabei die Augen schloss, sah er, wie die Würmer sich über sie hermachten. Er träumte.
    Die Träume waren grauenhaft real. Ein großer dunkler Vogel riss Brocken aus seinem Körper und verschlang sie. Sein scharfer, gebogener Schnabel zerfetzte ihn wie

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