Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
Vom Netzwerk:
älter, als sie eigentlich war. Denn es war ein verletztes, trauriges, betrunkenes Lächeln, dieses Lächeln stand nicht auf festem Grund, sondern auf dünnem Eis, er hörte es beinahe unter ihr krachen und nachgeben, in ihrer Stimme, in der Art, wie sie sich an ihrem Glas festhielt. Es war schwer von Kummer und Müdigkeit, aber gerade deswegen umso schöner. Er hatte nie zuvor so ein Lächeln gesehen, und nie zuvor hatte ein anderer Mensch, abgesehen von seinem Bruder, ihn so angelächelt – mit einem derart offenen Visier, dass es schon an Fahrlässigkeit grenzte. Es war wie ein Schwert, das sich in seine Brust bohrte – direkt auf Herzhöhe. Selina Leifheit brauchte ganz dringend eine tröstende Umarmung, feste Worte, denen sie glauben konnte. (Die Umarmung eines Vaters, dachte Robert.)
    Sie war eine Frau, die schwere Zeiten durchmachte.
    Sie schwankte; sie war angeschlagen wie ein Boxer in den Seilen. Er dachte, dass es leicht sein würde, wusste es bereits, er sah, was kommen würde und auch wie, und er schämte sich dafür. Mehr noch: Ihm wurde regelrecht schlecht davon. Erneut stotterte sein sonst so geschmeidiger, gut eingeölter Vollstreckungsmotor. Er war dankbar dafür, dass er sich jetzt gerade nicht in einem Spiegel betrachten musste. Was war eigentlich los mit ihm?
    Lag es an der Stadt, an diesem kleinen großen, ihm den Boden unter den Füßen wegziehenden Wort Zuhause ? Daran, dass Frank hier irgendwo war; Frank, der nicht wusste, wie nah ihm Robert war. Oder hatte es mit seinem Vater zu tun? Übertrug sich ein Teil seiner Erkrankung wie eine böse, zerstörerische, ihn aus dem Gleichgewicht bringende Energie auf Robert?
    Eine Handbewegung in seinem äußeren Blickfeld, ein leeres Glas wippte auf und ab, sein Lagerfeuer-Blick fokussierte sich von der Leere, in die er eben noch ein Loch gestarrt hatte, wieder zurück auf Selina, die ihn unmissverständlich aufforderte nachzuladen. Er bestellte für sie beide weitere Drinks. Er verglichsie jetzt mit den Aufnahmen, die Arschawin von ihr gemacht hatte, der müde, blasse Eindruck von ihr täuschte nicht. Es ging ihr schlecht, auch wenn sie es leidlich kaschierte. Enge Freunde konnte sie wahrscheinlich nicht täuschen, enge Freunde aber besaß sie laut Arschawin nicht. Und für den um sie herumwirbelnden Rest, die geballte Oberflächlichkeit, flüchtige Gespenster auf Abruf, reichte es.
    Robert reichte ihr die Hand. Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde lang, dann ergriff sie sie.
    »Handelsvertreter, also kommen Sie viel rum.«
    Er nahm einen Schluck von seinem Drink.
    »Mehr, als einem lieb ist.«
    »Und lernen Sie viele Leute kennen?«
    »Gesichter und Namen, und am nächsten Tag bringe ich beides schon nicht mehr zusammen.«
    Nahm sie ihm das ab? Handelsvertreter, heute hier, morgen dort, der perfekte One-Night-Stand. Sie hatten die Bar verlassen und sich an einen Tisch gesetzt. Zwei Schälchen mit Oliven und Erdnüssen vor ihnen. Gedimmtes Licht, nur noch wenige andere Nachtgestalten hier.
    Ihre Augen hatten sich ineinander verhakt und ließen den jeweils anderen nicht mehr los. Sie machten Small Talk, um zumindest eine gewisse Anstandszeit zu überbrücken. Tatsächlich aber war ihnen klar, wie das hier enden würde. Robert mehr als ihr. Eigentlich lief es wie in einem Film ab, nach einem vorgefertigten Schema. Du steigst in eine Situation ein und weißt, wie du jeden Schritt setzen musst, damit es so abläuft, wie es abzulaufen hat.
    Robert verdrängte dabei jeglichen Gedanken an Verrat. Unterdrückte ihn wie einen hartnäckigen Hustenanfall oder einen Brechreiz. Das lag daran, dass Selina keine Hindernisse vor sich aufstellte. Es gab keine Codes oder Wegweiser, die Robert beachten musste. Der Weg war frei, die Straße offen. Und dann bekam er es nicht hin.
    Schaffte es nicht, dieses unglückliche Gefühl in ihm abzustellen. Suchte verzweifelt nach einem Weg, diese Sache hier rational anzugehen. Aber mit jeder Sekunde mehr in ihrer Nähe verlor er den Abstand zu den Dingen. Und begriff plötzlich, dass er ihr etwas über und von sich erzählen musste. Nicht zu viel (noch nicht), aber genug, um es real wirken zu lassen. Ihr zu zeigen, dass er real war. Nicht die Wahrheit, sondern nur an ihren Rändern entlang. Er dachte, ich muss ihr etwas von mir geben, denn sie war bereit, ihm alles zu geben. Es war anders als sein kurzes Intermezzo mit Lise in Hongkong. Auch Lise hatte ihm aus ihrem Leben erzählt, aber das war nicht mehr als das vom

Weitere Kostenlose Bücher