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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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seine nackenlangen Haare flattern im Wind, ein großer dürrer Bursche, den Robert regelrecht zum Essen zwingen muss. Herrje, der Kleine ist so durch den Wind, dass er glatt vergisst zu essen. Robert ist genauso groß wie sein Bruder, er ist vier Jahre älter, fast siebzehn, muskulös, durchtrainiert, und er ist der einzige Mensch, der weiß, wie es in Frank aussieht. Bei der Beerdigung ihrer Mutter vor drei Wochen haben sie geschworen, auf einander aufzupassen und alles gemeinsam durchzustehen. Ein Umzug steht bevor, sie werden Berlin für längere Zeit verlassen, wer weiß, ob sie jemals zurückkehren. Die Schwester ihrer verstorbenen Mutter und deren Familie in Norddeutschland nehmen sie auf. Robert weiß schon jetzt, dass ihre fürsorgliche Liebe die Mauern, die er um sich errichtet, nicht durchbrechen wird. Der Felsen ist im Werden begriffen. Also Abschied von Berlin, von den grauenhaften Ereignissen der letzten zwei Monate, acht Wochen, die alles verändert haben. Er macht sich große Sorgen um seinen Bruder. Es gibt Tage, an denen Frank wie tot ist, verstummt, verzweifelt am Fenster hockt, den Blick ins Nichts gerichtet. Wenn man ihn anspricht, reagiert er wie in Zeitlupe. Und nur Stunden später platzt er beinahe vor manischer Energie, rast durch den Tag, pulsiert, vibriert, rennt, ruft, aber alles ohne Ziel, ohne Ergebnis.
    Energie, die sich selbst verschwendet.
    Frank, der sich selbst aufzehrt. Unbändig, kaum zu stoppen – nur um später wieder in einen katatonischen Zustand zu verfallen, Körper und Seele aus dem Tritt.
    Robert hingegen versteinert im Inneren. Wenn er nichts mehr fühlt, sich selbst und anderen gegenüber, dann kann ihn nichts verletzen. Die einzige Ausnahme, die einzige Lücke in der Mauer, lässt er für Frank. Aber das nun, denkt er jetzt, ist überhaupt keinegute Idee. Sie sind am Wannsee, und hier gibt es eine Reihe von Gartenlauben, und eine von ihnen gehört ihrem Vater. Ihrem abwesenden Vater, der im Gefängnis auf seinen Prozess wartet. Die Laube ist eigentlich fast schon ein kleines Häuschen mit einem Zimmer, einer Kochnische, einer Dusche. Ideal für abgelegene Wochenenden. Ideal für Morde. Darum sind sie hier. Das Werk ihres Vaters sehen. Natürlich ist inzwischen alles gesäubert worden, die Tatortabsperrungen beseitigt. Das Häuschen steht harmlos und unscheinbar zwischen seinen Nachbarn. Von Kommissar Lohmann haben sie erfahren, dass man es wohl abreißen wird. BLAUBARTS MÖRDERISCHES LIEBESNEST , erinnert sich Robert an die brüllend fette Schlagzeile. Das ist jetzt die letzte Gelegenheit für die Brüder, den Ort zu sehen, an dem ihr Vater drei Frauen getötet hat. Und doch ist es Wahnsinn, denkt er. Frank wird das nicht ertragen. Frank wird zusammenbrechen. Und Robert hat Angst davor, ihn zu verlieren. Denn obwohl er tief in seinem Inneren schon für sich beschlossen hat, alleine durchs Leben zu gehen, könnte er eine Welt ohne Frank nicht ertragen.
    Und er weiß, dass sein kleiner Bruder genauso denkt.
    Was ihnen geschehen ist, die Sicherheit und Geborgenheit nicht nur zu verlieren, sondern erkennen zu müssen, dass es sie vielleicht niemals gegeben hat, weil ihre Eltern eine Lüge lebten, hat sie nur noch mehr aneinandergeschmiedet. Denn inzwischen treibt ihn eine düstere Ahnung umher. Etwas, auf das ihn Lohmann gebracht hat. Weil er ihre Mutter direkt gefragt hat – hinter einer vermeintlich verschlossenen Tür. Ob sie von der mörderischen Natur ihres Mannes wusste? Anscheinend gibt es Hinweise darauf, aber das erzählt ihm Lohmann natürlich nicht. Hat sie sich deswegen umgebracht? Oder war die letzte Konfrontation im Gefängnis mit ihrem Mann zu viel für sie? Robert denkt: Wenn Mutter davon wusste, dann hat sie uns ebenso wie er belogen. Dann war sie nicht viel besser als er – eine Komplizin, oder etwa nicht? Aber wie soll er das Frank erklären? Der Junge würde endgültig zerbrechen. Frank sieht in seiner Mutter das letzte Opfer ihres Vaters – eine Frau, diean dem, was ihr Mann anderen angetan hat, zugrunde ging und sich selbst das Leben nahm. Mit dieser Erklärung muss er weiterleben. Himmel, lass es nicht wahr sein, denkt er. Sie hat nichts davon gewusst. Hat sie nicht. HAT SIE NICHT .
    »Rob!«
    »Scheiße, Frank, wir sollten gar nicht hier sein.«
    Frank tippt sich an die Stirn, trotzig, wütend, verletzlich.
    »Was redest du da? Wir sollten nirgendwo anders sein als hier.«
    Er klettert problemlos über das verschlossene Tor.
    Ja, und ich hab’s

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