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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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dir nicht ausreden können, denkt Robert und folgt ihm, weil er nun nichts anderes mehr tun kann, als direkt hinter seinem kleinen Bruder zu bleiben. Keine Menschenseele lässt sich heute blicken, zu sehr sind alle Besitzer noch entsetzt von dem Horror, der in ihre kleine idyllische Gartenzwerg- und Laubenpieperwelt eingebrochen ist. So eine Scheiße geschieht sonst nur in Aktenzeichen XY . Frank und er bewegen sich wie Eingeweihte durch die verschlungenen Wege, dabei waren sie nie vorher hier.
    Karl Abraham mietete die Laube ohne das Wissen seiner Familie. Was hätte er wohl getan, wenn wir es herausgefunden hätten und einfach aufgetaucht wären, denkt Robert.
    Als Überraschungsbesuch.
    Und er stellt sich vor, wie sie mitten in einen seiner Morde hineinplatzen, und ihm wird furchtbar übel. Er versucht sofort diesen Gedanken zu verdrängen, der ihn jedoch bereits wie ein Eindringling bedrängt, der seinen Fuß in den Türspalt schiebt und sich anschickt, in die Wohnung zu kommen.
    Dann erreichen sie den Schauplatz der Morde, DAS MÖRDERISCHE LIEBESNEST , in dem ihr Vater seinen Gespielinnen seine kranke Liebe mit dem Messer in die Haut schnitt. Die Tür ist abgeschlossen, aber Frank, angetrieben von dem unbarmherzigen Wunsch, sich dem Horror auszusetzen, schlägt das Fenster daneben mit einem Stein ein. In der Stille des verblassenden Tages ist das Geräusch so ohrenbetäubend laut wie der Zusammenprallzweier Autos auf einer Schnellstraße. Selbst die wenigen Vögel verstummen und ziehen sich zurück. Mehr noch: Robert hat das Gefühl, als würde die Welt selbst sich ihnen verweigern, weil sie in den Schauplatz des Grauens eindringen, weil sie die Ruhe der Toten stören, weil sie nicht die Augen und Ohren und Herzen zu verschließen bereit sind …
    Robert blickt sich um und erwartet jede Sekunde, dass ein anderer Laubenbesitzer auftaucht und sie verscheucht – aber das geschieht nicht. Es hätte auch nichts gebracht.
    Wir haben das RECHT, hier zu sein, würde ihm Frank sagen. Es ist UNSERE Geschichte, nicht ihre.
    Ja, verdammt, denkt Robert und sieht, wie sich Franks schmächtiger Körper durch die schmale Öffnung schlängelt und von der Finsternis da drinnen verschluckt wird. Er hört einen dumpfen Schlag und ein Stöhnen, Frank ist unsanft gelandet oder hat sich gestoßen.
    »Mach die Tür endlich auf«, sagt Robert.
    »Geht nicht«, ruft Frank zurück. »Die Polizei hat die Tür bombenfest verriegelt. Du musst durchs Fenster.«
    Na toll, großartig, kein Problem, sie beseitigen erst mal den von scharfkantigen Splittern gesäumten Rahmen, und danach legt Robert seine Jacke in die Öffnung, das fehlt noch, denkt er, dass ich mich hier aufschlitze. Er quetscht sich gerade so hinein. Sie haben keine Taschenlampen mitgebracht, nur ihre wirren Gedanken und verwundeten Seelen … ein bisschen wenig für eine Besichtigung. Aber dann findet Frank den Lichtschalter.
    Sie stehen da und wissen nicht weiter.
    »Wo ist das ganze Blut?«, fragt ihn Frank. »Es sollte doch alles voller Blut sein.« Dabei hat seine Stimme alle drängende Energie und Willen verloren und hört sich stattdessen eingeschüchtert, verängstigt und überfordert an.
    Die Wände, der Boden, das inzwischen von Laken und Matratze ausgeweidete Bett in der Ecke … hatten die Zeitungen gerade diesen Aspekt gierig betont: ALLES WAR BLUTROT .
    »Beseitigt«, sagt Robert. »Was glaubst du denn? Dafür gibt’s spezielle Tatortreiniger.«
    »Echt gruselig.«
    »Du wolltest ja unbedingt hierher.«
    »Du etwa nicht?«
    »Ich muss ja wohl gezwungenermaßen …«
    »Du brauchst mir nicht hinterherzulaufen.«
    »Und wer hält deine Hand …«
    Frank schweigt fürs Erste, schluckt dafür hart und steckt seine Hände tief in die Hosentaschen. Eben darum, denkt Robert, ohne zu triumphieren. Der Mord- und Todesraum zeigt erste Wirkung. Frank hat den Ansturm der Dämonen, die hier auf sie wie in einer Falle warten, unterschätzt.
    »Wir können auch wieder gehen«, schlägt Robert vor.
    Er selbst würde das sogar begrüßen. Zwar fühlt er sich mental stärker als Frank, aber hier zu sein, die Nähe seines Vaters zu spüren, seinen mörderischen Wahn, setzt auch ihm zu, mehr, als er dachte. Ein beklemmendes Gefühl, so als fülle jemand sein Innerstes mit Zement aus.
    »Ich schaffe das«, erklärt Frank.
    Ja, zäh bist du, Kleiner, aber das hier ist alles eine Nummer zu groß. Er legt seine Hand auf die Schulter seines Bruders.
    »Lass uns gehen.«
    »Nein.«
    Frank

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