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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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Gesicht in ihrem Nacken. Tränen liefen seine Wangen hinunter.
    Das geschieht dir aber reichlich spät, mein Freund, dachte er. Denn er hatte in dieser Zeit der Dunkelheit nie geweint, Felsen heulen nicht, und es Frank überlassen, ihr Unglück auszuleben, Tränen, Verzweiflung und Wut inklusive. Er selbst blieb verschlossen – nur so konnte er seinen Bruder stützen und für ihn da sein. Er dachte an die verschwendeten, verfluchten Jahre im Zentralmassiv des Nirgendwo, fernab der Gemeinschaft der anderen, stattdessen in Begleitung von Menschen, die buchstäblich über die Leichen der anderen gingen, wenn es erforderlich war, Netzwerker der Gewalt, eine Bruderschaft der Nacht und der Niedertracht.
    Er gehörte Männern an, die Feinde der Gesellschaft waren, Ausbeuter und Piraten, Lügner, Betrüger, Diebe und Mörder.
    Aber das bist doch nicht du, hörte er sich in der mit quälenden Selbstvorwürfen aufgeladenen Dunkelheit des Zimmers sagen. (Aus der Finsternis seiner Überlegungen rollte der abgeschlagene Kopf des Mannes in der Lagerhalle, und seine aufgerissenen Augen blinzelten Robert höhnisch zu.)
    Das bist doch nicht wirklich du .
    Und plötzlich war ihm, als strebe er einem inneren Punkt zu, hinter dem der elementarste Kern seines Wesens wie das Signalfeuer eines Leuchtturms durch die Nacht schnitt. Und sein Herz schlug schneller, als sein Verstand arbeitete, und beide suchten nach einer Lösung aus dieser Misere.

KAPITEL
DREIUNDZWANZIG
    »Ich muss verrückt sein, dass ich dir das antue.«
    Selina rieb sich den Schlaf aus den Augen und schnappte nach der Zigarette, die er ihr hinhielt, wie eine Ertrinkende nach einem Rettungsring. Robert rauchte schon seine zweite, er war geschlaucht, völlig fertig, dieser Traum war so real gewesen … und er hatte den Wandschrank wieder weit geöffnet und alle darin weggesperrten Dämonen auf einen Schlag freigesetzt. Er hatte seit Jahren nicht mehr so heftig geträumt … sich an viele Dinge erinnert, von denen er glaubte, sie erfolgreich verdrängt zu haben.
    Diese verdammte Stadt, dachte er. Die Nähe seines Bruders, die Nähe seines Vaters, sie alle wieder einmal nach so langer Zeit an einem Ort versammelt, ohne es zu wissen. Ohne voneinander zu wissen.
    »Ich bin hysterisch und bescheuert«, sagte Selina und riss ihn aus seinen Gedanken. Er wandte sich ihr zu und sah, dass sie weitaus größere Probleme hatte.
    »Ich komme gerne mit, wenn du das möchtest«, sagte er und hielt ihre Hand.
    Eiskalt und zitternd.
    Sie schüttelte den Kopf, und ihre langen Haare fächerten über ihr Gesicht. Sie weigerte sich zu weinen, wollte sich diese Intimität vor ihm bewahren; als spielte das jetzt noch eine Rolle, dachte er, er wusste so viel über sie, Dinge, die einem Dreckskerl wie Arschawin auf ewig verborgen bleiben würden, weil er nicht mal in die Nähe ihres Herzens kam. Robert jedoch, und es hatte ihn verwandelt.
    Ja, so fühlte er sich in ihrer Gegenwart: verwandelt.
    »Ich kann dich nicht mitnehmen … ach, ich hätte dir gar nichts erzählen sollen …« Aber genau das hatte sie, weil das Bedürfnis danach zu groß war, um es zu unterdrücken. Ihre Mutterstarb, und sie kam damit nicht zurecht. Wer konnte das schon? Niemand bereitete einen darauf vor.
    Als meine Mutter starb, dachte Robert, war ich noch weniger drauf vorbereitet als du. Er erinnerte sich an diesen Tag mit erschreckender Präzision: wie er ihren Namen rief, weil sie nicht in ihrem Bett lag, die Badezimmertür, die abgeschlossen war, die Stille hinter dieser Tür, in der er weder eine Toilettenspülung noch die Dusche vernahm, die Vorahnung einer Katastrophe, dann unendlich langsam das Blut, das sich unter dem Türrahmen sammelte. Er brach die Tür auf, warf seinen kräftigen Körper dagegen, Holz splitterte, BOOM, und er rutschte auf dem vielen Blut aus und fand sich am Boden wieder … buchstäblich am Boden beim Anblick ihres zerschnittenen Körpers in der Badewanne. Dann Franks Stimme aus seinem Zimmer, »Was ist los?«, und Robert, der sich aufrappelte und die Badezimmertüre wieder zuschlug, sich davorstellte und Frank den Weg versperrte. Und Frank sah das Blut an Roberts Hemd und das Blut auf dem Boden und warf sich gegen ihn, den Felsen, aber der Felsen wich nicht, ließ ihn nicht mit dem letzten zerstörten Bild seiner Mutter zurück. Irgendwann war Frank zu müde und zu verzweifelt, um noch weiter gegen ihn anzustürmen, und er brach in Roberts Armen zusammen.
    Ihre Mutter hatte sich die

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