Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
damit einen angemessenen Ort zu geben – in mir.«
»Du liest daraus dasselbe wie ich«, sagte Levy.
»Ja, Kannibalismus.«
»Wusste seine Frau davon?«
»Das wird sich noch herausstellen. Den Inhalt des Briefes kennt sie nicht, aber vielleicht den Inhalt seines Kopfes.«
»Ein entsetzlicher Gedanke.«
»Sie ist eine entsetzliche Frau.«
»Hier drinnen gibt es Leute, die mich tot sehen wollen, wie ich Ihnen schon einmal erklärte. Sie vernichten mich mit ihren Blicken, in ihren Augen bin ich schon längst ein toter Mann, und das lassen sie mich bei jeder Gelegenheit wissen. Und natürlich bin ich das in gewisser Weise ja auch. Bin es immer schon gewesen.«
»Ich habe ihn ein einziges Mal aufgesucht«, sagte Abraham. »Anscheinend gab es tatsächlich Morddrohungen anderer Mithäftlinge. Du weißt, wie gern gesehen solche Killer wie Krawczyk im Knast sind. Kinderschänder, Kindermörder, der Bodensatz. Krawczyk hat sich ausführlich darüber beschwert. Ich verwies ihn an die Gefängnisleitung.«
Abraham sah den Mann jetzt wieder vor sich sitzen. Krawczyk sah schrecklich aus, wie jemand, der tagelang nicht mehr geschlafen und gegessen hatte, er war ungefähr so erfrischend wie eine zu lang getragene Unterhose.
»Die wollen mich umbringen«, sagte er, »die sagen, Leute wie ich gehören entfernt. Die sagen, ich bin anders als die anderen, und sie haben recht.«
Krawczyk spielte mit dem Gedanken, sich selbst zu richten. Er nannte es »mich zu entsorgen« – als sei er Abfall, das in die Tonne oder an den Straßenrand gehört.
Abraham sagte: »Was wollen Sie von mir?«
»Ich denke hier drinnen viel über mich nach.«
Ja, diesen Spruch hatte Abraham immer und immer wieder von Inhaftierten gehört, ihre Reflexionen über ihr verschwendetes Leben mündeten in die immer gleichen Sackgassen. Es waren Männer, für die der Knast ein einziges Spiegelkabinett war – sie sahen sich jeden Tag von ihren Zerrbildern umstellt. Bei Krawczyk war das anders – wo keine Persönlichkeit vorhanden ist, kann auch nichts gespiegelt werden. Wie bei einem Vampir fehlte ihm ein Bild von sich selbst, das abseits seiner grauenhaften Neigungen existierte.
(»Richtig«, sagte Levy, »er existiert nur in seinem Verlangen. Darüber hinaus ist er das perfekte Nichts, eine soziale, gesellschaftliche Leerstelle, hohl.«)
»Sie haben mich verhaftet«, sagte Krawczyk. »Das ist gut so, denn es wäre nicht bei Nina geblieben. Ich hatte schon lange vor, ein junges Mädchen zu töten. Sie erst zu foltern, zu ficken und sie dann abzustechen.« Die Stimme des Killers blieb bei diesen Ausführungen ganz ruhig. Unbeteiligt. So als spräche er von einem anderen Typen, der ihm zufällig über den Weg gerannt und ihm diese Neuigkeit erzählt hatte. Aber in seinen starren, kalten Augen arbeitete diese Phantasie wie besessen, spulte sich der immer gleiche Terror wie ein Gedanken-Snuff-Movie ab. Nina, seine eigene Tochter, stellte dabei die Blaupause dar.
Levy fragte: »Wollte er damit noch weitere Morde gestehen?«
»Nein, ich bin sicher, dass er nur Nina getötet hat. Aber er hatte es vor, und es steht in diesem verdammten Brief drin. Er hat davon geträumt.«
Levy sagte: »Darum geht es ihnen. Sie leben ihre Träume aus. In ihren Köpfen befinden sich ungeheure Räume voller Spiegelungen und Brüche, Schauplätze morbider Todesnähe. Sieh mal – jeder von uns träumt oder denkt mal daran, jemandem zu schaden. Dagegen ist niemand gefeit. Nur: Wir belassen es bei dem Gedanken, bei der Idee, es ist eine Art Spiel, ungefährlich, weil wir wissen, dass es bei uns höchstwahrscheinlich niemals dazu kommen wird. Serienkiller sind da völlig anders, sie geben ihren Vorstellungen Raum, Fleisch und Blut, sie leben den Tod. Was uns Durchschnittsmenschen angeht: Wir sind für diese Menschen nur insofern relevant, als wir in ihrer Gegenwart bluten und schreien. Was uns von Tieren unterscheidet ist, dass wir wissen, dass wir sterben werden. Das ist für unsereins weder Gnade noch eine Bürde, aber für einen Killer ist es der Brennstoff, der sie antreibt und ihre Todesträume befeuert.«
Er zitierte wieder aus dem Brief:
»Dieser Wunsch wurde immer übermächtiger, so wie ein Hunger, der sich nicht stillen lässt, egal, wie viel man isst. Ich glaube, solange ich Nina fickte, konnte ich es kontrollieren. Sie war mir wirklich wichtig, ihr Körper, auch dass sie Abscheu empfand, wenn wir zusammen kamen. Das hat mich erregt, ich fickte sie härter und
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